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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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und sie stank und war eiskalt und heulte wie ein Orkan durch offene Fenster.
    Das synästhetische Chaos hörte so abrupt auf, wie es entstanden war, als ein Wechsel des mentalen Modus Esebians Wahrnehmungen normalisierte. Die »Hand« erwies sich als Verbindungsfaden, der sich aus dem rostroten Strang mit den Archivwarzen gelöst und sich um ihn geschlungen hatte. Jemand versuchte, einen direkten Kontakt herzustellen, und dabei duldete er keinen Widerstand. Das Zerren wurde schmerzhaft stark, und es blieb Esebian gar keine andere Wahl, als ihm nachzugeben. Der Faden zog ihn in die Membran des Datenstrangs, und auf halbem Weg hindurch blieb er stecken, gefangen in einer weichen, klebrigen Masse. Etwas kitzelte ihn hinter den Augen, und einen Moment später befand er sich an einem anderen Ort.

 
10
     
    Wind wehte, und sein Zischen wurde übertönt vom Donnern der Wellen, die an den breiten Fuß der nachtschwarzen Felsnadel schlugen, auf der Esebian stand. Das Meer, grau und braun, erstreckte sich auf allen Seiten bis zum Horizont, und nirgends waren Schiffe oder schwimmende Städte zu sehen. Dunkle Wolken zogen über den Himmel.
    Esebian versuchte, sich mit seinen Erweiterungen zu orientieren, doch dort, wo er sonst immer ihre Präsenz spürte, war alles taub. Ein Neutralisierungsfeld, und kein gewöhnliches. Befand er sich auf einer toten Insel? Er hatte von solchen Orten in den Datennetzen gehört. Lukas, von dem ein Teil seiner Ausrüstung stammte, hatte ihm einmal davon erzählt: separierte Orte in den Netzen, von den Magistern für die Isolierung von Schadprogrammen und anderen negativen Einflüssen benutzt. Einige schreckliche Sekunden lang befürchtete Esebian, dass es einem der Magister irgendwie gelungen war, seine wahre Identität herauszufinden und ihn hier festzusetzen, in einer Welt, die allein als kontrollierte Stimulation seiner gewöhnlichen Sinne existierte.
    »Zwei Monate«, erklang eine Stimme. »Mehr Zeit können wir Ihnen nicht geben.«
    Esebian drehte sich um und erkannte den Mann, der ihm vor einer Woche in seinem Haus über den Experimentalseen von Angar einen ungebetenen Besuch abgestattet hatte. Zwei auffallend große Augen mit unterschiedlich gefärbten Pupillen sahen ihn an, und im schwarzen Haar zeigten sich Tätowierungslücken. Tirrhel streckte die Hand aus und reichte ihm eine kleine Scheibe, die Esebian an den quantenverschränkten Kommunikationschip erinnerte, den er in seinem Haus erhalten hatte.
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie alle notwendigen Informationen erhalten werden – Sie hätten sich die Crawler sparen können.«
    Esebian nahm die kleine Scheibe entgegen. Sie war gelb wie Messing oder Gold, aber schwerer. Stabile Pseudomaterie.
    »El'Kalentar muss in spätestens zwei Monaten tot sein«, sagte Tirrhel.
    Die dunklen Wolken zogen schneller über den Himmel, und Regentropfen fielen, aber nicht auf die Felsnadel. Schaumkronen bildeten sich auf den Wellen, und das Donnern der Brandung wurde lauter. Dennoch konnte Esebian den Mann ihm gegenüber mühelos verstehen.
    Was denkt er sich? , zischte Caleb.
    »Das ist völlig unmöglich«, sagte Esebian. »Ich muss alles genau vorbereiten und jedes Detail planen. Um nur ein Problem von vielen zu nennen: Wie komme ich nach Taschka? Ich bin Konsul, kein Resident, und …«
    »Sie benötigen keine Aufenthaltserlaubnis für Taschka«, unterbrach ihn Tirrhel. »El'Kalentar hat sein Domizil verlassen und reist durch das Direktoriat. Das bedeutet eingeschränkte Sicherheit, was Ihnen eine gute Chance gibt. Zwei Monate, Esebian.«
    »Erst ein Jahr, und jetzt nur noch zwei Monate. Warum haben Sie es so eilig?« Wie hat er uns in den Datennetzen gefunden? , flüsterte Yrthmo, der Techniker. Und wie hat er uns hierher gebracht, zu einer toten Insel? »Wie haben Sie uns gefunden?«, fügte Esebian hinzu.
    In Tirrhels Augen blitzte es, und er kam einen Schritt näher.
    »Meine Gründe spielen keine Rolle für Sie, Esebian. Führen Sie den Auftrag durch. Nehmen Sie den Umstand, dass Sie sich hier befinden und mit mir sprechen, als Hinweis darauf, welche Möglichkeiten uns zur Verfügung stehen.«
    Esebian sah auf die kleine gelbe Scheibe hinab, die er in der Hand hielt, und als er den Blick wieder hob, war Tirrhel verschwunden. Wind heulte, die Brandung am Fuß der Felsnadel donnerte, und ein dicker, kalter Regentropfen klatschte ihm mitten ins Gesicht. Er hob die Hand, um die Nässe fortzuwischen …
    Und berührte eine trockene Wange. Er

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