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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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beisammen.
    Esebian zögerte an der Tür.
    Rell verstand ihn falsch. »Die Magister haben tausend Meriten dafür in Aussicht gestellt.«
    Doch es war keine Unschlüssigkeit, die Esebian zögern ließ, sondern ein weiterer, quälender Gedanke. Auch wenn Sie derzeit glauben, auf dem richtigen Weg zu sein … Es können sich immer neue Probleme ergeben. Sabotage. Die Drohung war klar genug.
    »Kümmern Sie sich um alles, Rell.« Esebian winkte für das Gesteninterface, und das Haus unterbrach die Kommunikationsverbindung.
    Esebian ging mit langen Schritten durch halbdunkle Korridore, die auf seine Stimmung reagierten und sie zu verbessern suchten, indem sie heller wurden und ihm beruhigende pastellfarbene Töne präsentierten. Leise Musik erklang, den Violinmelodien der Kirgu aus dem Magenta-Cluster nachempfunden, aber Esebian sah weder die Farben, noch nahm er die zarten Töne wahr. Zwei Stunden der zwanzigstündigen Frist, die Tirrhel ihm gesetzt hatte, waren verstrichen, und er fühlte schon jetzt, wie die Zeit knapp wurde – sie zerrann wie Sand zwischen seinen Fingern.
    Esebian betrat seinen privaten Raum, schloss die Tür hinter sich und überprüfte die Siegel. Alles in Ordnung. Dieser Ort gehörte ganz allein ihm und war selbst für Herax – beziehungsweise Herax-al-Kalmera-Kellian-tan-Halbatt-effan-Xanteriall; so lautete der volle Name des Magisters beim Filigran über dem ersten Planeten – unerreichbar. Hier konnte er sich selbst Gesellschaft leisten, im wahrsten Sinne des Wortes, ohne Datenschnüffler irgendeiner Art befürchten zu müssen. Herax' Augen und Ohren endeten an der Tür.
    Bevor er sich seinen früheren Leben zuwandte – Esebian hatte beschlossen, sich selbst um Rat zu fragen –, wollte er noch einmal zu dem Gespräch mit Tirrhel zurückkehren. Er trat in die Mitte des Raums, wo sofort ein Sessel aus dem Boden wuchs. Als Esebian darin Platz nahm, wurde der Rest des Bodens transparent wie Glas, und See Nummer vierzehn, direkt unter dem Haus, schien zum Greifen nahe. Smaragdgrünes und rosafarbenes Wasser glitzerte im Licht der Sonne Haredion.
    Eine kleine, schmale Konsole schob sich vor ihm nach oben, zierlich und fragil wie die zarten Stränge eines neuen Filigrans, und er legte die Hände in die Interface-Mulde. Ein leichtes Prickeln wies darauf hin, dass die Systeme des privaten Raums eine Verbindung mit seinem Nervensystem herstellten; dadurch konnte ganz auf verräterische externe Signalübertragung verzichtet werden.
    Esebians Blick war auf die vordere Fensterwand gerichtet, und durch sie auf eine etwa zwei Kilometer entfernte Forschungsstation, aber die visuellen Informationen erreichten sein Bewusstsein nicht mehr. Direkte neuronale Stimulation gab ihm die Perspektive eines imaginären Beobachters, der während des Gesprächs mit Tirrhel über ihm selbst und dem Fremden geschwebt hatte. Er erlebte die Begegnung noch einmal, sah die Maske der eigenen Gelassenheit und die unnahbare Kühle des Besuchers. Eine seiner Erweiterungen – ein kleines Implantat vier Zentimeter hinter der Stirn – ermöglichte ihm die Steuerung der auf ihn abgestimmten privaten Systeme. Er veränderte den Blickwinkel, holte den Fremden so nahe heran, dass die Poren in seinen Wangen wie kleine Krater wirkten. Er spähte in die unterschiedlich gefärbten Augen, rief zusätzliche Informationen ab und gelangte zu dem Ergebnis, dass sie tatsächlich das Resultat von aufwendigem gesteuertem Wachstum waren. Ihr Leistungsspektrum blieb Spekulationen überlassen. Die dünnen Linien der Tätowierungen wurden im Wahrnehmungszoom zu breiten Schichten aus Dutzenden von miteinander verknüpften Leiterbahnen. Schaltkreise?
    »Er ist kein Mensch.«
    Esebians stellte fest, dass Calebs Gesicht an der Wand erschienen war. Neben ihm hatte sich ein weiteres Wandsegment getrübt, und darin bildeten sich die ersten Konturen von Gunder, der im Lauf der Jahrzehnte fast ebenso stark wie Caleb geworden war. Die anderen Persönlichkeiten regten sich ebenfalls, geweckt von der neuronalen Stimulation und bisher noch zurückgehalten von unterschwelligen Barrieren.
    Esebian rief den Crawler zurück, den er vor zwei Stunden, unmittelbar nach der Begegnung mit dem Fremden, in die Datennetze des Direktoriats geschickt hatte. Die Tausend Tiefen waren ihm ohne Einschränkungen zugänglich, und über Brücken konnte er auch die Netze der Enha-Entalen, Kirgu und des Kongresses erreichen, obwohl es dort manchmal zu seltsamen

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