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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Spezies in den insgesamt fast hundert Experimentalseen zeigte. Nach dem Gespräch mit dem Fremden war er so sehr in Gedanken versunken, dass er kaum auf seine Umgebung achtete und gegen den Forschungsleiter prallte. Ein kurzes Prickeln und Flackern zeigte ihm, dass Donaton Rell nicht wirklich hier war, im Situationsraum seines Hauses, sondern noch immer in einer der fliegenden Forschungsstationen, vermutlich in der über Nummer neun.
    Er trat ein wenig zurück und musterte den Mann, der hier zu ihm sprach und gleichzeitig Dutzende von Experimenten überwachte. Der kleine, drahtige Rell war ein »mechanischer Zwitter«, wie man solche Leute in den Tausend Tiefen nannte. Vor etwa fünfzig Jahren hatte er mit seinen Forschungen über das mitochondriale Gedächtnis Kandidatenstatus erreicht und war in die erste Kategorie aufgestiegen. Spätestens dreißig Jahre später hätte er vom Provisor zum Nuntius arrivieren sollen, aber Donaton Rell hatten die dafür notwendigen Meriten gefehlt, und deshalb war ihm der Aufstieg zur zweiten Kategorie nicht möglich gewesen. Eine Residenz auf den Hohen Welten blieb ihm damit für immer verwehrt, aber auf ein langes Leben wollte er nicht verzichten, und deshalb hatte er begonnen, einzelne Körperteile und Organe nach und nach durch biomechanische Prothesen und Erweiterungen zu ersetzen. In den letzten Jahren hatte sich der Zellverfall beschleunigt – das typische Ergebnis eines Therapieabbruchs –, und das zwang Rell, immer mehr von seinem Körper zu ersetzen. Esebian vermutete, dass ihm in einigen Jahrzehnten nichts anderes übrig blieb als ein Identitätstransfer, entweder in eine Bioschale, da sich sein eigenes Körpergewebe nicht für Neuzüchtungen eignete, oder in ein intelligentes Terminal unter der Obhut eines Magisters. Wenn es ihm bei diesem Projekt gelang, ausreichend Meriten zu sammeln, konnte er auch Teil eines Schiffes oder einer Sonde werden und sich für eine Erkundungsmission in die Weiten zur Verfügung stellen – für so etwas suchten Erlauchte und Magister immer Freiwillige.
    All diese Gedanken gingen Esebian in wenigen Sekunden durch den Kopf – er befand sich noch immer im analytischen mentalen Modus –, und dann dachte er an etwas anderes und sagte: »So ein Unsinn.«
    Donaton Rell wandte sich ihm zu. »Wie bitte?«
    Der Forschungsleiter hatte Esebian mit seiner Scheinpräsenz an den Fremden erinnert, der wie aus dem Nichts erschienen und anschließend spurlos verschwunden war, und dadurch kehrten seine Gedanken zu dem rätselhaften Besucher zurück und zu dem Gespräch mit ihm.
    So ein Unsinn, wiederholte er lautlos. Warum ich? , hatte er gefragt. Und der Mann, der angeblich Tirrhel hieß, hatte geantwortet: Weil Sie der Beste sind.
    Selbst wenn es der Wahrheit entsprochen hätte: Der beste Killer in den Tausend Tiefen zu sein – war das etwas, auf das man stolz sein konnte?
    Caleb, dachte Esebian, wäre vielleicht stolz darauf gewesen. Aber Caleb gehörte zu seiner Vergangenheit; er hatte vor zwanzig Jahren ein neues Leben begonnen.
    Die anderen, die er gewesen war … Er begriff, dass er ihre Hilfe brauchte, denn seit zwei Stunden drehten sich seine Gedanken im Kreis. Erneut sah er Donaton Rell an, und plötzlich erschien ihm der mechanische Zwitter wie ein Hinweis auf die eigene mögliche Zukunft.
    »Haben Sie mir zugehört, Konsul?«, fragte der Forschungsleiter. Neben ihm summten leise die Datenströme der verschiedenen Darstellungsschichten des Situationstischs. »Die kritische Phase im neunten See …«
    »Wir müssen dies verschieben, Rell.« Esebian ging bereits zur Tür.
    »Darf ich Sie daran erinnern, dass wir zwei Jahre auf diesen Moment hingearbeitet haben? Die Degeneration bei der elften Lyonen-Generation …«
    »Versuchen Sie es mit Variationen der bisherigen Behandlungsmethoden. Zellauffrischung, Restrukturierung von DNS und RNS sowie Reprogrammierung des mitochondrialen Gedächtnisses – das ist Ihr Spezialgebiet.«
    Donaton Rell ließ die Hände sinken. Ein von der Kuppe des linken Zeigefingers ausgehendes Indikatorlicht schnitt durch die Datenströme des Situationstischs und erlosch. »Wir könnten kurz vor einem Durchbruch stehen. Wenn es uns diesmal gelingt, die Degeneration aufzuhalten und die nächste Generation ohne Zerfallserscheinungen heranwachsen zu lassen … Es wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Verhinderung des FEK. Wir könnten einer Lösung des Problems so nahe sein.« Er hielt Daumen und Zeigefinger dicht

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