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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Tahlon.
    Der Mann mit der Sensormaske deutete eine Verbeugung an und zeigte nach oben.
    Die nächsten Stufen … Hinter und unter Esebian begannen die Menschen und anderen Besucher zu singen. Der Himmel hatte sich in ein Lichtermeer verwandelt, und alle blickten nach oben, auch die Erlauchten auf dem Podium. Dort saß er, der fast sechseinhalb Jahrtausende alte Vorsitzende des Direktoriats, El'Kalentar von Taschka. Selbst die rote Eidechse in seiner Stirn schien die vielen aufsteigenden Lichter zu beobachten.
    Die letzte Stufe.
    Die letzten Sekunden …
    Mit neuer Deutlichkeit spürte Esebian die Kapsel des Deteriorators im linken Arm. Sie wog nur wenige Gramm, aber plötzlich schien sie ein ganzes Kilo schwer zu sein und unter seiner Haut anzuschwellen.
    Ein Schirmfeld setzte seinen Bewegungen Widerstand entgegen. Natürlich. Kein Erlauchter würde es wagen, sich schutzlos in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Zu viel konnte passieren. Esebian blieb stehen und wartete, bis El'Kalentar den Kopf wieder senkte und ihn sah. Überrascht hob der Unsterbliche die Brauen …
    Der entscheidende Moment … El'Kalentar wusste, dass der Präfekt nach seinem Unfall im medizinischen Zentrum Lapinta aus dem Tod ins Leben zurückgeholt worden war. Niemand hatte den Unfall inszeniert, und für El'Kalentar gab es keinen Grund zu glauben, dass jemand eine Kopie des Präfekten gegen ihn einsetzte. Dennoch … Wenn sein natürlicher Argwohn so groß war, dass er auf die Anweisung verzichtete, für Akir Tahlon eine Strukturlücke in dem Schirmfeld zu öffnen, dann scheiterte Esebian hier, an diesem Ort.
    El'Kalentar winkte, und zwei Observanten näherten sich. Einer von ihnen hob ein kleines Gerät, und direkt vor Esebian flimmerte es. Ein Schritt nach vorn, und er befand sich auf der anderen Seite der Barriere.
    El'Kalentar stand sogar auf und kam ihm entgegen. Die anderen sieben Erlauchten, unter ihnen eine Frau von nur etwa dreißig Scheinjahren, beobachteten ihn neugierig.
    »Mein lieber Tahlon! Es freut mich, Sie wieder gesund und munter zu sehen.« Er streckte die Hand aus. »Ich habe den zuständigen Arzt von Lapinta gebeten, mich in Hinsicht auf Ihren Zustand auf dem Laufenden zu halten, aber aus irgendeinem Grund hat er es versäumt, mir Bescheid zu geben.«
    Esebian ergriff die dargebotene Hand.
    Die rote Eidechse in El'Kalentars Stirn zischte.
    Die Pupillen des Unsterblichen wurden größer.
    Jetzt.
    Esebian beugte den linken Arm. Die Kapsel unter der Haut brach, und schon einen Sekundenbruchteil später wogte die Hitze eines irreversiblen Zellbrands durch seinen Körper. El'Kalentar schien im letzten Moment zu begreifen, was geschah – vielleicht warnten ihn die Eidechse oder seine Sensoren –, doch als er die Hand zurückziehen wollte, war es schon zu spät.
    Das Glühen, das den Leib des vermeintlichen Präfekten erfasst hatte, sprang auf ihn über. Auf Taschka oder einer der anderen Hohen Welten wäre El'Kalentar vielleicht imstande gewesen, sich selbst in diesen wenigen Sekunden mit der Technik der Erlauchten zu retten. Aber dies war Hadadd, ein Planet in den Tausend Tiefen. El'Kalentars Körper, sein echter , wahrer Körper, löste sich auf.
    Dir bleiben fünf oder sechs Sekunden , hatte Lukas gesagt.
    Esebian fühlte das Zerren des Todes, kalt trotz der Hitze des Zellbrands, und als er sein Selbst aus der sterbenden Kopie von Akir Tahlon zurückziehen wollte, erlebte er eine ebenso unerwartete wie erschreckende Überraschung – etwas hielt ihn fest. Die Bilder des Todes, die dunkel zwischen den anderen gewartet hatten, als Teil der latenten Erinnerungen, sprangen ihm entgegen, packten sein Bewusstsein und trugen es …
     
     
    … in eine graue Welt unter einem grauen Himmel. Wind blies Staub über ein trockenes, ödes Land. In mittlerer Entfernung ragte ein Vulkanberg empor, und auf den Terrassenfeldern an seinen Hängen arbeiteten zahllose Menschen, nicht größer als Ameisen.
    »Sind Sie gekommen, um mir zu helfen?«
    Esebian drehte sich um und sah Akir Tahlon, gebeugt von Alter und Mühsal, das Gesicht eine Faltenlandschaft, fast so grau wie Land und Himmel.
    »Helfen?«, brachte Esebian hervor. Seine Stimme war heiser und rau, als hätte er stundenlang geschrien. Vielleicht hatte er das. Er versuchte, sich zu erinnern …
    »Wir sind tot, wissen Sie«, sagte Akir Tahlon, und Esebian lauschte seiner Stimme: So klang ein Mann, der jede Hoffnung verloren hatte, der nicht einmal mehr wusste, was Hoffnung war.

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