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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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»Ich weiß nicht, ob dies die Hölle ist, aber im Paradies sind wir sicher nicht gelandet. Die wahre Hölle befindet sich angeblich dort drüben.« Er deutete zum Vulkanberg.
    »Das hat er gesagt«, fuhr Tahlon fort. Mit krummen Schultern und nach vorn gebeugt stand er da, als trüge er die ganze Zeit über eine schwere Last auf dem Rücken.
    »Er?«, wiederholte Esebian.
    »Der Tod«, antwortete Tahlon. »Ich glaube, dass er die Personifizierung des Todes ist. Oder meine Fantasie, die Substanz und Gestalt gewonnen hat. Er hat mir aufgetragen, hier Ordnung zu schaffen, und ich frage Sie noch einmal: Sind Sie gekommen, um mir zu helfen?«
    Wenn Esebian es nicht besser gewusst hätte, wäre er bereit gewesen, diesen Akir Tahlon für einen Grauen zu halten. Kein Mensch konnte müder und erschöpfter sein, ohne Müdigkeit und Erschöpfung zu erliegen. Ein grauer Mann – wenn auch kein Grauer – in einer farblosen Welt.
    »Helfen?«, brachte Esebian hervor, und etwas in ihm schrie, aber aus weiter Ferne: Kostbare Zeit vergeht! Dir bleiben nur einige wenige Sekunden. Du musst dich aus der Projektion zurückziehen!
    Tahlon deutete auf Abertausende kleine weiße Stäbchen, die im Staub lagen, ohne dass sie erkennbare Muster bildeten. »Ich muss sie ordnen«, sagte er. »Und wenn ich sie geordnet habe, wenn das Chaos besiegt ist, kommt Wind auf und bringt wieder alles durcheinander. Dann muss ich von vorn beginnen.«
    »Das ist doch sinnlos!«, entfuhr es Esebian, und die noch immer ferne Stimme in ihm heulte: Dies sind fremde Erinnerungen! Kehr in deinen Körper zurück, bevor es zu spät ist! Er spürte eine sonderbare Hitze, obwohl er wusste, dass es an diesem Ort kalt war. Zellbrand, dachte er. Es ist die Hitze des Zellbrands.
    Akir Tahlon begann damit, die Stäbchen neu auszulegen. »Was hat überhaupt einen Sinn?«, murmelte er.
    »Ich habe auch eine Aufgabe für dich«, erklang eine Stimme. Esebian drehte sich um und sah eine schwarze Gestalt im verblassenden grauen Licht des Tages. »Geh in die Wüste«, sagte der Tod. »Wandere durch die Ödnis, ein Schritt für jeden Tag deines Lebens. Und wenn du den letzten Schritt getan hast, so wandere durch die nächste Wüste und mach einen Schritt für jeden Tag, den du leben wolltest.«
    Du stirbst! , kreischte die innere Stimme, während Esebian wie in einem starken Wind schwankte. Du stirbst zusammen mit El'Kalentar und der Tahlon-Kopie!
    »Caleb?«, flüsterte Esebian.
    Er ging los, vorbei an der schwarzen Gestalt und Akir Tahlon. Seine Beine bewegten sich von ganz allein und trugen ihn in die dunkle Wüste.
    Dir bleiben fünf oder sechs Sekunden. Es war nicht die heulende innere Stimme, die plötzlich ganz ruhig zu ihm sprach, sondern ein Flüstern aus dem Gedächtnis. Fünf oder sechs Sekunden für sein projiziertes Bewusstsein, in den eigenen Körper zurückzukehren. Wenn er zögerte, wenn er zu lange wartete …
    Dann blieb er hier, an diesem grauen, düsteren Ort, zu einer endlosen Wanderung durch Wüsten verurteilt.
    Zurück.
    Wie viel Zeit war bereits vergangen? Zählten die subjektiven Sekunden in dieser Welt? In dem Fall war es längst zu spät.
    Esebian zwang sich dazu, stehen zu bleiben und die Augen zu schließen. Ich bin nicht wirklich hier, dachte er. Dies sind fremde Erinnerungen, von einem Mann, der für einige Stunden tatsächlich tot war, bis ihn eine Rekonversion ins Leben zurückholte. In Wirklichkeit befinde ich mich in einer Felsvilla, in einem sicheren Zimmer und angeschlossen an einen Bewusstseinsprojektor …
    Das Gefühl der Hitze ließ nach, doch es wich einem Empfinden von Druck und Enge, das er zunächst nicht zu deuten wusste, bis er erneut die innere Stimme hörte – mehrere innere Stimmen, Caleb war die lauteste von ihnen. Wir stecken in einem verdammten Fesselfeld! Was ist passiert? Mach die Augen auf, Esebian!
    Esebian öffnete die Augen.
    »Danke dafür, dass Sie den Auftrag erfüllt haben.« Tirrhel. »Hier ist Ihr Lohn.«
    Er richtete eine Vari-Waffe auf Esebian und drückte ab.

 
     
     
    In blinder Nacht liegt diese Welt,
    Klar sehen hier nur wenige;
    Dem netzbefreiten Vogel gleich
    Steigt selten einer himmelwärts.
     
IN BLINDER NACHT
18
     
    Nach dem Bewusstseinstransfer war Esebian benommen, und die Schatten der düsteren Todeswelt hielten noch immer einige seiner Gedanken gefangen. Außerdem rechnete er an diesem Ort – im sicheren, abgeschirmten Zimmer der Felsvilla – nicht mit Gefahren. Ein Mensch mit gewöhnlichen

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