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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Erinnerungen – vielleicht enthielten sie Informationen, die er gebrauchen konnte, um sich El'Kalentar zu nähern.
    Esebian/Tahlon griff nach der Kleidung, zog sich an und überprüfte sein Erscheinungsbild. Einige Minuten später verließ er das Apartment mit der Absicht, einen Unsterblichen zu töten.

 
17
     
    Gab es einen besseren Ort als einen Friedhof, um die eigene Unsterblichkeit zu zelebrieren?
    Er befand sich draußen in der Wüste, in der es dunkel wurde, als der Tag zu Ende ging: ein rechteckiger Bereich, etwa dreißig Quadratkilometer groß und von einer hüfthohen weißen Mauer umfasst. Darin glänzten in goldenen Schriftzeichen die Namen der mehr als hunderttausend Beigesetzten. Nicht nur Menschen lagen hier – gewöhnliche Menschen, die aus irgendeinem Grund nie zu Kandidaten geworden waren und beschlossen hatten, auf Hadadd zu sterben –, sondern auch einige Ureinwohner, obgleich die meisten von ihnen in den unterirdischen Urnenhallen ihre letzte Ruhe gefunden hatten. Während ihrer Zeit auf diesem Planeten hatte Talanna von Benston erfahren, dass jeder Erlauchte, der nach Hadadd kam, den Friedhof besuchte und an der »Zeremonie der aufsteigenden Seelen« teilnahm.
    Es war der richtige Ort für Esebian, denn beim Friedhof brauchte Akir Tahlon keine Identer oder dergleichen, um Codeschranken zu passieren. Alle hatten freien Zugang.
    Tausende von Besuchern hatten sich eingefunden, als Esebian im Körper der Präfektenkopie den Friedhof erreichte. Sie standen auf Gravplattformen und Podien oder wanderten auf den Wegen, die durch das Friedhofsareal führten. Auf dem größten, mit bunten Kristallen geschmückten Podium saßen die acht physisch präsenten Erhabenen des Direktoriats, unter ihnen El'Kalentar.
    Esebian trat über die Rampe des Transporters, der ihn zusammen mit hundert anderen Passagieren aus Appaia in die Wüste gebracht hatte. Die Gläserne Stadt funkelte und glitzerte am Horizont, unter einem Himmel, an dem immer mehr Sterne erschienen, und die Lebenstürme in ihrer Nähe ragten, in buntes Scheinwerferlicht getaucht, wie steinerne Finger auf.
    Zusammen mit den anderen Besuchern näherte sich Esebian dem Haupteingang des Friedhofs, aber sein Ziel waren nicht die Gräber jenseits der weißen Mauer, sondern das Ehrenpodium. Der Körper, in dem er unterwegs war, fühlte sich an wie ein dicker Mantel. Oder besser noch: wie ein Schutzanzug, der den gewohnten Bewegungsspielraum einschränkte. Normalerweise hätte er einige Stunden damit verbracht, die motorische Kontrolle der Kopie zu perfektionieren, aber so viel Zeit blieb ihm nicht.
    Er trug den Tod in sich, und gleich doppelt: in Form einer fünf Zentimeter langen und einen halben Zentimeter dicken Kapsel im Biomorph an der Hüfte – und in Akir Tahlons latenten Erinnerungen. Der Mann, in dessen Kopie Esebian steckte, war gestorben, hatte den Tod – wenn auch nicht den endgültigen – direkt erfahren. Die Bilder warteten, düster und kalt, kälter als der Abendwind, der aus der Wüste kam und die Hitze des Tages forttrug, und sie schienen Esebian zuzuflüstern: Du, der du unsterblich zu werden hoffst … Willst du nicht wissen, wovor du fliehst? Willst du nicht wissen, wie es aussieht, das Ende?
    Stimmen hallten über den Friedhof und schienen mit dem Flüstern zu verschmelzen – für Esebian klangen sie plötzlich wie ein Raunen aus den Tausenden von Gräbern. Erste Lichter stiegen von devoten Händen auf: kleine Flammen in Blasen, jede einzelne begleitet von Gebeten und Botschaften für Verstorbene. Erst waren es nur einige Dutzend, wie Sterne, die vom Himmel herabgesunken waren und nun wieder aufstiegen. Fast jeder Besucher hatte eine oder mehrere Flammen mitgebracht, und aus Dutzenden wurden Hunderte und Tausende.
    Esebian erreichte das Erlauchten-Podium und setzte den Fuß auf die erste Stufe. Hier. Jetzt. An diesem Ort. Die letzten Sekunden eines über sechstausend Jahre langen Lebens verstrichen.
    Ein Observant trat ihm entgegen. »Zugang ist nur den Exzellenzen und ihren Assistenten gestattet«, sagte der Mann, der eine Sensormaske trug.
    »Ich bin Akir Tahlon, Erster Hochkommissar und Präfekt des Direktoriats. Ich habe eine wichtige Nachricht für den Vorsitzenden.«
    Die Kopie war leider nicht mit Erweiterungen ausgestattet, und so fühlte Esebian nichts, als ihn der Observant sondierte. Was auch immer er analysierte – DNS-Struktur, Iris, Hirnwellen –, das Ergebnis musste lauten: Dies war tatsächlich Akir

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