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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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O'Rourke. Seine Stimme klang müde. »Die Leiter des Waisenhauses haben immer noch keine Informationen über Joshuas Eltern. Er wurde in einer Nebenstraße beim Waisenhaus gefunden.«
    »Jammerschade«, sagte Lucian, der die Suppe mit einem Holzlöffel kostete. Er verzog das Gesicht. »Ich hoffe, Sie beide mögen Ihr Spülwasser fad gewürzt.«
    »Aber ich konnte einen Aufseher bestechen, damit er mir eine Beschreibung der beiden Männer gab, die Joshuas Verlegung von Tîrgovişte nach Bukarest vereinbart haben«, fuhr der Priester fort. »Der Aufseher konnte die beiden Männer beschreiben, weil sie persönlich kamen, um die Verlegung anzuordnen.«
    »Und?« sagte Kate. Sie zog den Fetzen Papier aus der Manteltasche. Wenn die Götter gnädig waren, konnte Lucian sagen, ob die Beschreibung des Mannes zu dem paßte, dessen Name da stand.
    »Einer war in mittleren Jahren, kleinwüchsig, übergewichtig, anmaßend, mit pomadisiertem Haar und einer Vorliebe für Camel-Zigaretten.«
    »Popescu!« sagte Kate.
    »Ja«, sagte O'Rourke. »Der Mann, der Popescu begleitete, war jung, ebenfalls Rumäne, aber mit einem akzentfreien Amerikanisch. Der Aufseher sagte, er habe gehört, wie der junge Mann auf englisch mit dem Verwaltungschef des Waisenhauses gescherzt hat. Er sagte, daß dieser junge Mann teure Jeans aus dem Westen trug - Levi's - und amerikanische Turnschuhe mit der gekrümmten Welle auf der Seite. Nikes. Er und Popescu brachten Joshua mit einem blauen Dacia weg.«
    Kate drehte sich um und sah Lucian an.
    Der junge Mann stellte den Holzlöffel wieder in den Suppentopf. »He«, sagte er. »He. Es gibt Millionen blaue Dacias in diesem Land.«
    O'Rourke stand auf. »Mein Aufseher hat einen Teil der Unterhaltung mitgehört, während sie Joshua reisefertig machten«, sagte er leise. »Der junge Rumäne mit dem makellosen Englisch sagte, daß er Medizinstudent sei. Ein Witz in Englisch war, wenn sie keine reichen Amerikaner finden könnten, die das Baby kauften, würde er es der Vivisektionsabteilung der Medizinischen Fakultät der Universität übergeben.«
    Lucian wich von der Heizplatte zur Tür zurück. Kate versperrte ihm den Weg.
    »Der Aufseher sagte, daß Popescu den jungen Mann mit dessen Namen anredete, als sie das Geld zählten, um die Waisenhausverwaltung zu bestechen«, sagte O'Rourke. »Er nannte ihn Lucian.«
     

Träume von Blut und Eisen
     
     
    Mein Leben besteht jetzt fast ausschließlich aus Flüstern und Träumen. Die Träume handeln von Tagen und Feinden, die längst tot sind; das Flüstern im Flur und auf der Treppe und hier in meinem Zimmer, als wäre ich schon ein Leichnam, erzählt, wie das Kind für die Zeremonie der Weihe wiedererlangt wurde. Das Flüstern klingt jetzt überheblich. Sie sprechen von ihrer Klugheit, mit der sie das Kind zurückgeholt haben. Sie sprechen nicht davon, wie das Kind entführt wurde oder welche Feinde es in ihre Gewalt gebracht haben. Sie können sich nicht vorstellen oder scheinen sich nicht zu erinnern, welch schreckliches Strafmaß über sie hätte kommen können, wäre mir als dem Vlad aus früheren Zeiten das Wissen über die Unfähigkeit meiner Untertanen zu Ohren gekommen.
    Einerlei. Ich bin nicht der Vlad aus früheren Zeiten. Dafür haben langsame Erosion und die sichere Abnutzung von Jahrzehnten und Jahrhunderten gesorgt.
    Aber meine Träume sind von den Jahrhunderten unberührte Erinnerungen, und in meinen Träumen sehe ich mich zum ersten Mal richtig. Ich lausche dem Flüstern, während die letzten Einzelheiten der Zeremonie geplant werden, während meine Familie darüber zankt, ob ihr Vater in seinem sterbenden und teilnahmslosen Zustand überhaupt daran teilnehmen kann. Doch selbst wenn ich diesem Flüstern lausche, ziehen mich die Träume in ihren Bann.
    Michael Beheim, der Hofdichter Friedrichs III., hat von meiner Begegnung mit drei Benediktinermönchen im Jahre 1461 geschrieben; Bruder Hans, der Pförtner, Bruder Michael und Bruder Jakob. Beheim hörte die Geschichte von dem dritten Mönche, Bruder Jakob, und ihre entstellte Version wurde fünf Jahrhunderte lang niedergeschrieben, zitiert und nacherzählt. Man mag die Voreingenommenheit des Dichters Beheim schon dem Originaltitel seines Gedichts entnehmen, welches er 1463 dem Heiligen Römischen Kaiser zu Gehör brachte: Geschichte eines blutrünstigen Wahnsinnigen genannt Dracula von der Walachei.
    Nur die wenigsten haben sich je die Mühe gemacht, die Niederschrift der Schilderung Bruder Jakobs

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