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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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bringen, obschon er sich größte Mühe gab. »Man könnte diese Möglichkeit in Betracht ziehen, Sire«, sagte er schließlich. »Ich bin jedoch nur ein armer Mönch, der mit den strengen Gesetzen der Logik oder den Forderungen der Apologetik nicht vertraut ist.«
    Ich breitete die Arme aus und lächelte. »Wie du sagtest, wenn wir von dieser Annahme ausgehen«, sagte ich herzlich, »dann gebietet die Vernunft eigentlich, daß jemand wie ich, der Tausenden Seelen geholfen hat, ihre irdischen Prüfungen hinter sich zu bringen ... nun, so einer müßte strenggenommen als Heiliger betrachtet werden, da er so viele Seelen gerettet hat, bevor diese eine Möglichkeit hatten, ihre Aussicht auf Erlösung durch Sündigen zu verspielen. Würdest du nicht zustimmen, Bruder Michael?«
    Der dürre Mönch leckte sich wieder die feuchten Lippen und sah noch mehr wie ein Frettchen aus, das feststellen mußte, daß ihm jemand einen Käfig übergestülpt hatte, als es nicht aufpaßte. »Ein ... äh ... Heiliger, mein Fürst? Man könnte gewißlich auf diesen Gedanken kommen, aber ... äh ... nun, mein Fürst, Heiligkeit ist eine problematische und ... äh ... schwer zu beweisende Eigenschaft, und ... äh ...«
    Ich beschloß, Mitleid mit dem eingeschüchterten Mann zu haben. »Dann sage mir folgendes«, fuhr ich mit etwas schneidenderer Stimme fort. »Könnte jemand wie ich, auch wenn der Status des Heiligen nicht unbedingt gesichert ist, Erlösung durch Jesus Christus finden?«
    Bruder Michael stammelte fast vor Erleichterung über diese Frage. »O ja, Sire! Eine Erlösung für Euch ist möglich, so wie bei allen anderen Menschen auch. Unser Herr und Erlöser hat seine Barmherzigkeit durch den Tod am Kreuz auf uns alle ausgedehnt, und diese Barmherzigkeit wird nicht verweigert werden, wenn der reuige Sünder wahrhaftig bereut und wünscht, sein Leben ... das heißt, Sire, wenn der reuige Sünder den Wunsch hat, in der Gnade der Lehren und Gebote unseres Herrn zu leben.«
    Ich nickte. »Und deine Mitbrüder würden selbstverständlich dieselben Ansichten äußern, was die Möglichkeit meiner Erlösung betrifft?«
    Wieder das Frettchenblinzeln. Schließlich brachte er heraus: »Meine Mitbrüder kennen allesamt die Lehren Jesu und die Kraft der Barmherzigkeit Gottes, Sire.«
    Ich lächelte - dieses Mal aufrichtig - und befahl dem dürren Mönch, sich nicht von der Stelle zu rühren, während ich nach seinen Gefährten rief.
    Die abendlichen Schatten fielen bereits langgezogen auf den Steinfußboden, als ich dieselben Fragen Bruder Hans dem Pförtner stellte, einem kleineren, gedrungeneren Mann, dessen Tonsur aussah, als wäre sie mit einer Heckenschere geschnitten worden.
    »Herr Mönch«, sagte ich, »du weißt, wer ich bin?«
    »Gewiß«, sagte der kleine Mann, während seine beiden Gefährten das Schauspiel mit einer gewissen Nervosität verfolgten. Es war eindeutig, daß es sich bei ihm um den Fanatiker der Gruppe handelte. Seine Augen blickten furchtlos und vom Feuer der Rechtschaffenheit erfüllt. Weder seine Stimme noch seine Haltung drückten Unterwürfigkeit aus. Ich beschloß, über die mangelnde Höflichkeit hinwegzusehen, das traditionelle ›Sire‹ oder ›Mein Fürst‹ zu gebrauchen, wenn er mich ansprach.
    »Du kennst meinen Ruf?« sagte ich.
    »Ja.«
    »Du weißt, daß er zutreffend ist?«
    Der kleine Mönch zuckte die Achseln. »Wenn Ihr es sagt.«
    »Er ist zutreffend«, sagte ich leise. Ich konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie Bruder Michael erbleichte. Bruder Jakob, der wahrhaftig wie ein Jude aussah, war ausgesprochen blaß und ausgesprochen gleichgültig. »Es ist zutreffend«, fuhr ich im selben Plauderton fort, »daß ich Tausende Menschen gefoltert und ermordet habe, und die meisten hatten sich keines besonders schwerwiegenden Vergehens gegen mich und mein Reich schuldig gemacht. Viele meiner Opfer waren Frauen - davon viele schwanger -, und viele kleine Kinder. Ich habe viele sogenannte unschuldige Frauen und Kinder gefoltert, enthauptet und gepfählt. Weißt du, warum das so ist, Bruder Hans der Pförtner?«
    »Nein.« Der untersetzte kleine Mönch hatte die Hände vor sich verschränkt und stand breitbeinig und entspannt da, als würde er sich die Beichte eines Bauern anhören. Sein Gesichtsausdruck drückte nur gelindes Interesse aus.
    »Es ist so, weil ich, genau wie Jesus Christus ein guter Hirte war, ein guter Gärtner bin«, sagte ich. »Wenn man das Unkraut aus seinem Garten entfernt, dann muß man

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