Kinder der Nacht
dir!«
Der junge Mann nickte und hob wieder die Hände, als wollte er sie beschwören, sich zu beruhigen. »Na gut ... wo soll ich anfangen?«
»Es war Ihre Aufgabe, das Baby außer Landes zu bringen«, sagte O'Rourke. »Was meinen Sie damit. Ihre Aufgabe? Wer hat Ihnen die Aufgabe gegeben? Für wen arbeiten Sie?«
Kate sah zur Tür und rechnete fast damit, Mitglieder der Securitate eindringen zu sehen. Aber abgesehen vom Zischen der Laterne und dem Klopfen ihres Herzens war kein Laut zu hören.
»Ich arbeite nicht für jemanden«, sagte Lucian, »ich arbeite mit einer Gruppe, die seit Jahren ... Jahrhunderten ... für die Freiheit kämpft.«
Kate schnaubte verächtlich. »Du bist ein Partisan. Ein Freiheitskämpfer. Klar doch. Und du bekämpfst die Tyrannen, indem du Babys entführst.«
Lucian sah sie an. Seine Augen glänzten hell. »Indem ich Babys von Tyrannen entführe.«
»Wie meinen Sie das?« sagte Pater O'Rourke.
Lucian seufzte und ließ sich auf das Sofa fallen. »Können wir uns nicht alle setzen?«
»Du setzt dich hin«, sagte Kate, die die Arme verschränkte, damit sie nicht zitterten. »Du setzt dich hin und erzählst.«
»Okay«, sagte Lucian. Er holte noch einmal tief Luft. »Ich bin Angehöriger einer Gruppe, die Ceauşescu Widerstand leistete, als er noch an der Macht war. Davor kämpften mein Vater und meine Mutter gegen Antonescu und die Nazis.«
»Indem die Babys entführten«, unterbrach ihn Kate. Sie konnte nicht verhindern, daß ihre Stimme bebte.
Lucian sah sie an. »Nur wenn sie zu den Voivoda Strigoi gehören.«
O'Rourke verlagerte das Gewicht, als würde ihm seine Beinprothese Schmerzen bereiten. Sein Gesicht sah im Licht der Laterne ausgesprochen markant aus. »Das müssen Sie erklären.«
Lucian lächelte verzerrt. »Sie wissen doch von den Strigoi«, sagte er. »Ihr Franziskaner kämpft schon seit Jahrhunderten gegen sie.«
»Lucian«, sagte Kate und trat zwischen die beiden Männer, »warum hast du Joshua aus dem Waisenhaus in Tîrgovişte abgeholt? Hast du für Popescus Leute gearbeitet?«
Dieses Mal lachte der junge Mann unbeschwerter. »Kate, niemand arbeitet für Popescu. Dieser medizinische Zuhälter hat für jeden gearbeitet, der ihn bezahlte. Wir haben ihn bezahlt.«
»Wer ist wir?« schnappte Kate.
»Der Orden. Die Gruppe, der meine Familie seit Jahrhunderten angehört. Unser Kampf galt nicht nur dem politischen Überleben des Landes, sondern dem Überleben seiner Seele. Hinter den Ceauşescus, hinter den früheren kommunistischen Regimen, hinter Ion Antonescu, hinter ihnen allen ... standen die Strigoi. Die Bösen, die wie Menschen einhergehen, aber keine sind. Die Dunklen Ratgeber. Die Mächtigen, die die Zukunft unserer Nation so sicher aussaugen, wie sie das Blut ihrer Menschen ausgesaugt haben.«
»Vampire«, sagte Kate. Ihre Aufmerksamkeit konzentrierte sich in diesem Augenblick so sehr auf Lucian, daß der Rand ihres Gesichtsfeldes zu verschwimmen schien.
Dieses Mal zuckte der junge Mann die Achseln. »Das ist der westliche Name. Die meisten Mythen stammen von euch ... die spitzen Zähne, der Opernmantel ... Bela Lugosi und Christopher Lee. Eure Nosferatus und Vampire sind Ammenmärchen, um kleine Kinder zu erschrecken. Unsere Strigoi sind nur allzu real.«
Kate stellte fest, daß sie nervös blinzelte. »Warum sollten wir dir das glauben?«
»Sie müssen mir nicht glauben, Kate. Sie waren die einzige, die die Wahrheit über die Strigoi selbst herausfinden konnte. Nur zu ... erzählen Sie mir, was Sie und Ihre Kollegen im weltberühmten amerikanischen CDC herausgefunden haben. Erzählen Sie es mir!« Er wartete nicht auf ihre Antwort. »Sie haben das Immunsystem eines Kindes gefunden, das sich selbst wiederherstellen, das die Folgen der schweren kombinierten Immunschwäche überwinden kann ... wenn es Blut bekommt.«
Kate versuchte zu schlucken, aber ihr Hals war zugeschnürt.
»Haben Sie das Blutabsorptionsorgan in der Magenwand isolieren können?« fragte Lucian. »Ich konnte es. In den Leichen ihrer Toten und den Körpern ihrer Lebenden ... wie Joshua. Konnten Sie den Immunrekonstruktionsprozeß in T- und B-Zellen nachweisen, wenn der Retrovirus den Purinmangel behoben hatte? Muß ich Sie wirklich davon überzeugen, daß es Menschen gibt, die ihre Körper wiederbeleben, indem sie DNS-Elemente aus dem Blut anderer Menschen benützen? Oder daß sie über erstaunliche regenerative Fähigkeiten verfügen? Oder daß sie - theoretisch -
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