Kinder der Nacht
einer Stadt zu sehen. Mag sein, daß man sich nicht leicht in Bukarest verlieben kann, aber die Stadt hat auch ihre schönen Seiten.«
Kate beobachtete ein junges Pärchen, das unten vorbeifuhr; der junge Mann mühte sich mit den schweren Rudern ab und versuchte so zu tun, als ginge es völlig mühelos, seine junge Lady rekelte sich wollüstig - jedenfalls ihrer Meinung nach - in dem Kahn. Das Ruderboot schien so groß wie ein Rettungsboot der QE 2 zu sein und ebenso einfach zu bedienen. Das Paar verschwand hinter einer Biegung des Bachlaufs, wo der junge Mann sich schwitzend und fluchend auf die Ruder stützte, um einem Paddelboot auszuweichen, das aus der anderen Richtung kam.
»Die Ceauşescus und die Revolution scheinen sehr weit entfernt zu sein, oder nicht?« sagte Kate. »Man kann sich kaum vorstellen, daß diese Menschen jahrelang unter einem der schlimmsten Diktatoren der Menschheitsgeschichte leben mußten.«
Der Priester nickte. »Haben Sie den neuen Präsidentenpalast und den Boulevard Sieg des Sozialismus gesehen?«
Kate versuchte, ihr Gedächtnis in die Gänge zu bekommen. »Ich glaube nicht«, sagte sie.
»Sollten Sie sich ansehen, bevor Sie abreisen«, sagte Pater O'Rourke. Seine grauen Augen wirkten abwesend und schienen mit einem inneren Monolog beschäftigt zu sein.
»Ist das im neuen Stadtteil von Bukarest, den er erbauen ließ?«
Der Priester nickte wieder. »Erinnert mich an die Architekturmodelle, die Albert Speer für Hitler entworfen hat«, sagte er mit sehr leiser Stimme. »Berlin, wie es nach dem Endsieg des Dritten Reiches aussehen sollte. Der Präsidentenpalast könnte das größte bewohnte Gebäude der Welt sein ... aber augenblicklich ist er nicht bewohnt. Das neue Regime hat nicht die leiseste Ahnung, was man damit anfangen soll. Und der Boulevard besteht aus einer Masse glänzender weißer Büro- und Mietshäuser - teils Drittes Reich, teils koreanische Gotik, teils römischer Imperialismus. Sie sind über den ehedem schönsten Teil der Stadt hinweggewalzt wie marsianische Kampfmaschinen. Die alten Gebäude sind für immer dahin ... so tot wie Ceauşescu.« Er rieb sich die Wangen. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir uns einen Moment setzen?«
Kate ging mit ihm zur Bank. Der Sonnenuntergang leuchtete nur noch in den allerhöchsten Wolken, aber die Dämmerung ließ sich Zeit, der laue Frühlingsabend schmolz langsam dahin. Einige wenige Gaslaternen leuchteten an dem langen, gewundenen Weg auf. »Ihr Bein macht Ihnen Probleme«, sagte sie.
Pater O'Rourke lächelte. »Dieses Bein kann mir keine Probleme machen«, sagte er und zog das linke Hosenbein über den Stützstrumpf. Er klopfte auf das rosa Plastik einer Prothese. »Nur bis zum Knie«, fügte er hinzu. »Oberhalb kann es verdammt weh tun.«
Kate biß sich auf die Lippen. »Autounfall?«
»Sozusagen. Gewissermaßen ein nationaler Autounfall. Vietnam.«
Kate war überrascht. Während des Krieges war sie noch in der High-School gewesen, und sie hatte angenommen, der Priester wäre in ihrem Alter oder jünger. Jetzt betrachtete sie gründlich das Gesicht über dem dunklen Bart, bemerkte das Netz der Lachfältchen um die Augen, sah den Mann zum erstenmal richtig und stellte fest, daß er ein paar Jahre älter als sie war, möglicherweise Anfang Vierzig. »Das mit Ihrem Bein tut mir leid«, sagte sie.
»Mir auch«, lachte der Priester.
»War es eine Tretmine?« Kate hatte mit einem brillanten Arzt zusammengearbeitet, der sich auf Kriegsverletzungen spezialisiert hatte.
»Eigentlich nicht«, sagte Pater O'Rourke. Seiner Stimme fehlte das Selbstmitleid und Zögern, das sie bei vielen Vietnam-Veteranen gehört hatte. Welche Dämonen der Krieg und die Verletzung ihm auch immer beschert haben mögen, dachte sie, inzwischen hat er sie überwunden. »Ich war eine Tunnelratte«, sagte er. »Und ich habe einen Nordvietnamesen da unten gefunden, der mehr Falle als Leichnam war.«
Kate war nicht sicher, was eine Tunnelratte war, fragte aber nicht.
»Sie wirken Wunder bei den Kindern im Krankenhaus«, sagte der Priester. »Seit Ihrer Ankunft hat sich die Zahl der überlebenden Fälle mit Hepatitis B verdoppelt.«
»Aber sie ist immer noch nicht gut genug«, schnappte Kate. Sie hörte den schneidenden Unterton ihrer Stimme und holte Luft. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme leiser. »Wie lange sind Sie schon in Rumänien ... äh ...«
Er kratzte sich am Bart. »Warum nennen Sie mich nicht Mike?«
Kate wollte etwas sagen,
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