Kinder der Nacht
zusammenzuzucken, als er ihn in die Tasche steckte, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen.
»Hier, entlang«, sagte er und deutete auf eine Kabine mit Vorhang im Sicherheitsbereich, den sie gerade hinter sich gelassen hatte.
»Was soll das ...«, begann Kate, verstummte aber, als der andere Wachmann sie am Ellbogen berührte. Sie zog den Arm weg und folgte dem größeren Mann durch den abfallübersäten Raum. Die anderen Passagiere sahen gleichgültig zu; Rauch stieg von ihren Zigaretten auf.
Eine Sicherheitsbeamtin wartete hinter dem Vorhang der Kabine. Kate fand, daß die Frau wie eine humorlose Version von Martina Navratilova mit schlechtem Haarschnitt aussah. Aber dann zerstoben alle schnippischen Vergleiche, als in Kate die Gewißheit wuchs, daß dieses vierschrötige Ungeheuer sie einer Leibesvisitation unterziehen würde.
Der pockennarbige Wachmann holte ihren Paß heraus, studierte ihn eine ganze Weile - wobei er den Nähten, wo das Dokument geheftet war, besondere Aufmerksamkeit zukommen ließ - und bellte dann etwas Rumänisches zu den beiden anderen Wachen. Er drehte sich zu Kate um. »Sie adoptiertes Kind, ja?«
Kate war einen Moment verwirrt und nicht sicher, ob der Mann einen bizarren Witz machte oder nicht. Dann sagte sie: »Ich habe dieses Kind adoptiert, ja. Er ist jetzt mein Sohn.«
Beide Männer studierten den Paß und den Wust von Dokumenten und Durchschlägen, die daran festgeklammert waren. Schließlich sah der große, pockennarbige zu ihr auf und sah sie an. »Es fehlt die Schrift der Eltern.«
Unterschrift der Eltern, meinte er, wie Kate klar wurde. Die neuen rumänischen Gesetze verlangten die Unterschrift mindestens eines leiblichen Elternteils, wenn ein rumänisches Kind adoptiert wurde. Kate hatte dieses Gesetz von ganzem Herzen begrüßt. »Es gibt keine Unterschrift«, sagte sie langsam und sorgfältig betont, »aber das liegt daran, daß die leiblichen Eltern nie gefunden wurden. Es ist ein Kind aus dem Waisenhaus. Ausgesetzt.«
Der Pockennarbige sah sie mit verkniffenen Augen an. »Um Baby zu adoptieren, müssen Sie Elternschrift haben.«
Kate nickte lächelnd und mußte alle Willenskraft aufbringen, um nicht zu schreien. »Ja, normalerweise schon«, sagte sie, »aber man glaubt, daß dieses Kind keine Eltern hat. Keine Eltern.« Sie deutete auf die Dokumente. »Sehen Sie, hier haben wir eine Anlage, auf der steht, daß in diesem Fall keine Unterschrift der Eltern erforderlich ist. Sie ist ... hier ... vom stellvertretenden Innenminister unterschrieben. Und hier vom Gesundheitsminister ... sehen Sie, hier.« Sie deutete auf das rosa Formular. »Und hier sind die Unterschriften des Waisenhausdirektors, wo Joshua gefunden wurde ... und hier vom Verwaltungschef des Krankenhauses Distrikt Eins.«
Der Wachmann runzelte die Stirn und blätterte die Dokumente beinahe verächtlich durch. Kate spürte die abgrundtiefe Dummheit hinter dem arroganten Benehmen des Schurken. O Gott, dachte sie, ich wünschte, Lucian wäre hier. Oder jemand von der Botschaft. Oder Pater O'Rourke. Warum denke ich jetzt an Pater O'Rourke?
Sie schüttelte den Kopf und sah die drei Wachen an, wobei sie gelassenen Trotz, aber keinerlei Provokation erkennen ließ. »Alles in Ordnung«, sagte sie und merkte gar nicht, daß sie Deutsch gesprochen hatte. Irgendwie schien das im Augenblick passend zu sein.
Die Frau streckte die Hände aus und sagte etwas.
»Das Baby«, sagte der pockennarbige Mann. »Geben Sie ihr das Baby.«
»Nein«, sagte Kate ruhig, aber nachdrücklich. Sie fühlte sich alles andere als ruhig. Zu einem Schläger der Securitate nein zu sagen forderte selbst im Rumänien nach Ceauşescu noch Gewalt heraus.
Die beiden Männer sahen sie finster an. Die Frau schnippte ungeduldig mit den Fingern und streckte die Arme wieder aus.
»Nein«, sagte Kate fest. Sie sah das Bild vor sich, wie die Frau Joshua durch die Tür trug, während die beiden Männer sie selbst festhielten. Ihr wurde klar, es konnte mühelos geschehen, daß sie ihren Sohn nie wiedersehen würde. »Nein«, sagte Kate noch einmal. Sie bibberte innerlich, aber ihre Stimme blieb ruhig und fest. Sie lächelte den beiden Männern zu und nickte auf Joshua. »Sie sehen, daß er schläft. Ich will ihn nicht aufwecken. Sagen Sie mir, was erforderlich ist, dann werde ich es tun, aber ich gebe ihn nicht aus der Hand.«
Der größere Wachmann schüttelte den Kopf und sagte etwas zu der Frau. Diese verschränkte die Arme und fuhr ihn an.
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