Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
das sie sich im Laufe ihres Lebens und ihrer beruflichen Laufbahn angeeignet hatte, in den Blick, mit dem sie den Wachmann betrachtete. Der dicke Mann senkte den Blick, stempelte den Paß zum letztenmal und reichte ihn ihr brüsk. Kate mußte sich zwingen, damit sie nicht mit Joshua auf den Armen losrannte. Der Transportwagen hatte sich bereits Richtung Flugzeug in Bewegung gesetzt, hielt aber wieder an und wartete, bis sie eingestiegen war. Die polnischen und rumänischen Passagiere sahen sie an.
    Sie saßen zwölf Minuten vor dem Anrollen zur Startbahn in dem Flugzeug, aber Kate war sicher, daß ihre Uhr stehengeblieben sein mußte. Es schien Stunden, Tage zu dauern. Sie beobachtete durch das regenüberströmte Fenster, wie zwei Wachmänner in Ledermänteln am unteren Ende der Treppe rauchten und sich unterhielten. Es waren nicht die beiden Männer aus der Schalterhalle. Aber sie hatten Handfunkgeräte bei sich. Kate machte die Augen zu, und ihre flehentlichen Bitten kamen einem Gebet so nahe wie nichts mehr seit ihrem zehnten Lebensjahr.
    Drei Flughafenarbeiter schoben die Treppe weg. Das Flugzeug rollte ans Ende der einsamen und verlassenen Startbahn. Seit sie an Bord gekommen waren, war kein Flugzeug gestartet oder gelandet. Die Maschine beschleunigte auf dem ausgebesserten Asphalt. Kate atmete erst auf, als das Fahrgestell eingefahren und Bukarest ein Wirrwarr aus weißen Häusern war, die hinter ihnen über Kastanienbäume hinausragten. Ihre Hände zitterten weiter, bis sie wußte, sie mußten den rumänischen Luftraum längst hinter sich haben. Sogar auf dem Flughafen in Warschau hatte sie Herzklopfen, bis die Mannschaft gewechselt hatte und sie sich auf dem Weg nach Frankfurt befanden.
    Schließlich ertönte die Stimme des Piloten über den Bordfunk. Er hatte einen amerikanischen Akzent. »Meine Damen und Herren, wir haben soeben unsere Flughöhe von siebentausend Metern erreicht. Soeben überflogen wir die Stadt Lodz und müßten die deutsche Grenze in ... äh ... etwa fünf Minuten erreicht haben. Wir hatten einige Turbulenzen, wie Ihnen sicher aufgefallen ist, aber wir haben die Ausläufer der Schlechtwetterzone hinter uns gelassen, und Frankfurt informiert uns, daß es dort sonnig und warm ist, Temperatur einunddreißig Grad Celsius, Windgeschwindigkeit acht Meilen pro Stunde aus Westen. Wir hoffen, Sie genießen den Rest des Flugs.«
    Plötzlich fiel Sonnenlicht durch das kleine Fenster herein. Kate küßte Joshua und weinte vor Freude.
     
    Kate Neuman blinzelte im Sonnenschein, der zum getönten Fenster des CDC Boulder hereinstrahlte, und ging ans Telefon. Sie konnte wirklich nicht sagen, wie lange es schon läutete. Sie konnte sich noch vage erinnern, wie ihre Sekretärin den Kopf zur Tür hereingestreckt und gesagt hatte, daß sie zum Mittagessen in die Kantine hinunterginge.
    »Doktor Neuman«, sagte Kate.
    »Kate, hier ist Alan unten in der Tomographie. Ich habe die neuesten Bilder der letzten Untersuchung Ihres Sohnes.«
    »Ja?« Kate stellte fest, daß sie Kreise in Kreise gekritzelt hatte, bis ihr Notizblock fast schwarz war. Sie legte den Kugelschreiber weg. »Wie sehen sie aus, Alan?«
    Es folgte ein kurzes Zögern, und Kate konnte sich den rothaarigen Techniker vorstellen, wie er im Schein seiner zahlreichen Monitore saß und auf der Konsole vor sich ein halb aufgegessenes Sandwich mit Corned beef liegen hatte.
    »Ich glaube, Sie sollten lieber runterkommen, Kate. Das sollten Sie sich selbst ansehen.«
     
    Sechs Videomonitore waren in die lange Konsole eingelassen, und jeder zeigte eine etwas andere Darstellung der inneren Organe des neun Monate alten Joshua Neuman. Es handelte sich nicht um Röntgenbilder, sondern um komplexe Darstellungen, die Alans Magnetresonanzgerät erzeugte. Kate konnte Milz, Leber, die Windungen des Dünndarms und die untere Rundung des Magens ihres Kindes erkennen ...
    »Was ist das?« fragte sie und deutete mit dem Finger auf den mittleren Monitor.
    »Genau«, sagte Alan, schob die dicke Brille auf der Nase hoch und biß von seinem Corned-beef-Sandwich ab. »Jetzt passen Sie auf, wenn wir die Sequenz mit den CT-Daten von vor drei Wochen vergleichen.«
    Kate ließ den Primär-VDT nicht aus den Augen, während die Bilder verschmolzen, sich in drei Dimensionen drehten und auf eine Nahaufnahme auf die untere Krümmung des Magens zoomten, wo verschiedene Schichten der Magenwand mit unterschiedlichen Farben unterlegt wurden, worauf eine Zeitraffersequenz mit digitaler

Weitere Kostenlose Bücher