Kinder der Nacht
Vergrößerung abgerufen wurde.
Ein kleiner Appendix oder ein Abszeß schien in Joshuas Magenwand zu wachsen.
»Magengeschwür?« sagte Kate, die, noch während sie das Wort aussprach, wußte, daß es keines war. Das Magnetresonanzbild zeigte eine solide Struktur in der Anomalie. Sie spürte, wie sie der Mut verließ.
»Nein«, sagte Alan und trank einen Schluck kalten Kaffee. Plötzlich sah er Kates Gesicht, sprang auf und schob ihr einen Stuhl hin. »Setzen Sie sich«, sagte er. »Es ist auch kein Tumor.«
»Nicht?« Kate spürte, wie das Schwindelgefühl nachließ. »Aber es muß einer sein.«
»Ist aber keiner«, sagte Alan. »Glauben Sie mir. Sehen Sie. Das ist die CT-vergrößerte Serie der MR-Bildsequenz von dieser Wo che.«
Die untere Rundung des Magens war wieder normal. Die bun ten Schichten der Magenwand krümmten sich, der Abszeß oder was auch immer erschien, wuchs zur Größe eines Appendix und begann wieder zu schrumpfen.
»Ein separates Gewächs?« sagte Kate.
»Dasselbe Phänomen, ein anderer Zeitraum.« Alan deutete auf die Datenkolonne rechts von dem Bild. »Bemerken Sie die Über einstimmung?«
Im ersten Moment bemerkte Kate sie nicht. Dann beugte sie sich näher hin und rieb sich die Oberlippe. »An dem Tag, wenn Joshua sein Plasma bekommt...« Sie drehte den Stuhl zu dem Monitor herum, wo der vorhergehende Zyklus auf dem Bild schirm eingefroren war. Sie glitt mit dem Finger am Bildschirm entlang und sagte: »Und diesselben Daten bei der Transfusion vor drei Wochen. Diese Bilder zeigen jedesmal, wenn es Blut be kommt, eine Veränderung in den Eingeweiden des Babys?«
Alan biß einen kräftigen Bissen von seinem Sandwich ab und nickte. »Nicht nur eine Veränderung, Kate, sondern eine Art grundlegenden Anpassungsprozeß. Dieses Gebilde ist jederzeit da, es wird nur deutlicher sichtbar, wenn es Blut absorbiert ...«
»Blut absorbiert!« Kates Aufschrei überraschte sogar sie selbst. Sie dämpfte die Stimme. »Er absorbiert kein Blut durch die Ma genwand, Alan. Wir geben Joshua intravenöse Injektionen - wir geben ihm kein Babyfläschchen voll Blut!«
Alan entging die Ironie. Er nickte und kaute zu Ende. »Selbst verständlich, aber dieses Anpassungs ... organ ... wie auch im mer, das absorbiert tatsächlich Blut, daran besteht kein Zweifel. Se hen Sie, hier.« Er drückte auf Tasten, worauf sämtliche sechs Monitore um die abnormale Schwellung herum rot zu blinken an fingen. »Die Magenwand an der Stelle ist dicht von Venen und Arterien durchzogen. Das ist ein Grund, weshalb ein Magenge schwür dort so ein Problem darstellt. Aber dies« - er deutete auf das Bild des tumorähnlichen Gebildes - »dieses Ding wird von einem größeren Arteriennetz gespeist, als ich je gesehen habe. Und es absorbiert wirklich Blut, kein Zweifel möglich.«
Kate schob den Stuhl zurück. »Mein Gott«, flüsterte sie.
Alan hörte ihr gar nicht zu. Er schob die Brille auf der Nase hö her. »Aber sehen Sie sich die anderen Daten an, Kate. Nicht die Absorption des Blutes ist interessant. Betrachten Sie die jüngste MR-Serie. Was als nächstes passiert, ist unglaublich.«
Kate betrachtete die nächste Abfolge von MR-Bildern und Datenkolonnen, ohne zu blinzeln. Als es vorbei war, saß sie eine ge schlagene Minute stumm da.
»Kate«, flüsterte Alan. Seine Stimme klang beinahe ehrerbietig. »Was geht hier vor?«
Kate ließ den Bildschirm nicht aus den Augen. »Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich. »Ich weiß es wirklich und wahrhaftig nicht.« Aber irgendwo tief in ihrem kreativen Unterbewußtsein, das sie zu einer der besten Diagnostikerinnen des CDC gemacht hatte, wußte Kate Neuman es. Und das Wissen machte ihr gleichzeitig Todesangst und erfüllte sie mit einem seltsamen Hochgefühl.
Kapitel 14
Kate Neumans Haus lag auf einer Hochwiese sechs Meilen den Sunshine Canyon über Boulder hinauf. Kate hatte Canyons immer gehaßt - ihr mißfiel der fehlende Sonnenschein, besonders im Winter, und daß sie der Gnade der Schwerkraft ausgeliefert war, sollten sich Felsbrocken lösen -, aber die Straße kam aus der breiten Vertiefung des Sunshine Canyons heraus und verlief meilenweit auf hohen Kuppen entlang, bevor sie die Abfahrt zu ihrem Haus erreichte. Sie fand die Lage ihres Hauses fast perfekt: Hochwiesen mit Espen und Pinien erstreckten sich zu beiden Seiten, zehn Meilen im Westen ragten die Gipfel des Abschnitts Indian Peaks der Kontinentalscheide empor, und nachts konnte sie zwischen den Klüften
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