Kinder der Nacht
Kate?«
Sie unterdrückte den Drang zu seufzen. »Ich fürchte ja. Das Kind leidet darüber hinaus an schwerem Adenosindeaminasemangel.«
»ADA auch noch?« unterbrach sie der Arzt am anderen Ende der Leitung. Sie hörte seine Zähne auf der Pfeife klicken und stellte sich seinen gequälten Gesichtsausdruck vor. »Der arme kleine Kerl leidet an allen vier Spielarten von SCID. Die Symptome zeigen sich für gewöhnlich zwischen dem dritten und sechsten Monat. Was hast du gesagt, wie alt ist er?«
»Fast neun Monate.« Kate mußte an den ›Geburtstagskuchen‹ denken, den Julie bei King Soopers einkaufen würde. Sie feierten Joshuas ›Geburtstag‹ jeden Monat. Jetzt wünschte sie sich, sie hätte sich selbst die Zeit genommen, den Kuchen einzukaufen.
»Neun Monate«, sagte Pauls Stimme. Er war eindeutig in tiefes Nachdenken versunken. »Ich weiß nicht, wie der kleine Kerl es so lange schaffen konnte ... viel älter wird er jedenfalls nicht mehr werden.«
Kate zuckte zusammen. »Ist das deine Diagnose, Paul?«
Sie hörte das Rascheln am anderen Ende der Leitung und konnte fast vor sich sehen, wie der zerknitterte Forscher sich aufrichtete und die Pfeife auf den Tisch legte. »Du weißt, ich würde nie eine Prognose erstellen, ohne den Patienten und die Tests persönlich gesehen zu haben, Kate. Aber ... mein Gott ... Anzeichen von allen vier SCID-Variationen. Ich meine, wenn es sich nur um ADA handeln würde, wäre das schon schlimm genug ... Wurde eine haploidentische Knochenmarkstransplantation durchgeführt?«
»Es gibt keinen Zwilling«, sagte Kate leise. »Überhaupt keine Verwandten. Das Waisenhaus konnte nicht einmal die Eltern ausfindig machen. Daher ist keine Gewebeverträglichkeit möglich.«
Einen Augenblick herrschte Schweigen. »Nun, du könntest dennoch ADA-Injektionen versuchen, um einige der Immunfunktionen wiederherzustellen. Außerdem Transferfaktor- und Thymusextrakte. Und dann wäre da ein Humangenetikprojekt, an dem Mulligan, Grosveld und andere arbeiten. Die können echte Erfolge beim Aufbau ADA-erzeugender Retroviren vorweisen ...« Er verstummte.
Kate sprach aus, was ihr Freund verschwieg. »Aber bei allen vier Typen von SCID wäre die Chance, einem tödlichen Erreger aus dem Weg zu gehen, während die Gentherapie Widerstand aufbaut ... wie hoch, Paul? Zu gering, auch nur eine Zahl anzugeben?«
»Mein Gott, Kate«, sagte der Forscher, »du weißt so gut wie ich, daß eine einzige Infektion ausreicht, einem SCID-Kind den Garaus zu machen ... normale Windpocken, Masern mit Lungenentzündung, Cytomegalovirus- oder Adenovirusinfektionen, oder unseren alten Freund Pneumocystosis carinii ... eine ordentliche Kopfgrippe und das Kind ist tot. Das eigene Darmleiden mit Proteinverlust erschwert das Problem zusätzlich. Es ist, als würde man eine Schräge einfetten und dann auf Wachspapier hinunterrutschen.« Er verstummte, eindeutig außer Fassung, um Luft zu holen.
Kate sprach leise weiter. »Ich weiß, Paul. Und ich habe das auch getan.«
»Was getan?«
»Die Rutschbahn auf dem Spielplatz eingefettet und dann auf Wachspapier daran hinuntergerutscht.«
Sie hörte, daß er wieder auf seiner Pfeife kaute. »Kate, arbeitest du mit diesem Kind ... persönlich, meine ich.«
»Ja.«
»Nun, ich würde meine Hoffnung auf die Gentherapieforschungen setzen und das Beste hoffen. Heutzutage wird eine Menge Energie darauf verwendet, das ADA-Problem zu lösen, und wenn du das geschafft hast, kann man die Schweizer Typus-, B-Lymph- und Retikulardysgenese-Fehlfunktionen mit konventionelleren immunologischen Aufbautechniken angehen. Ich faxe dir alles, was wir über Mulligans Arbeit haben.«
»Danke, Paul«, sagte Kate. Das Wild hatte sich wieder in den Pinienwald zurückgezogen, als sie nicht hingesehen hatte. »Paul, was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, daß die Symptome dieses Kindes periodisch sind?«
»Periodisch? Du meinst, sie variieren an Heftigkeit?«
»Nein, ich meine buchstäblich periodisch. Sie tauchen auf, werden kritisch und werden dann vom eigenen Abwehrsystem des Kindes zurückgeschlagen.«
Dieses Mal dauerte das Schweigen fast eine Minute. »Autoimmunologische Rekonstruktion? WBKs, die von null an aufgebaut werden? T- und B-Zellen steigen? Gammaglobulinstandard wird wieder hergestellt? Von einem SCID-Kind mit dreihundert Lymphs/ my -eins als Ausgangspunkt? Ohne gewebeverträgliche Knochenmarkstransfusionen, ohne ADA-Retrovirus-Gentherapie?«
»Korrekt«, sagte Kate. Sie
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