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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Stoffwechsel.«
    »Wie?« sagte Tom. Er zauste den dunklen Flaum auf Joshuas Kopf.
    »Wir haben keine Ahnung. Oh, wir haben etwas gefunden, das Alan ein ›Schattenorgan‹ nennt - eine Verdickung in der Magenwand, das die Stelle sein könnte, wo das Blut absorbiert und in seine genetischen Bestandteile aufgebrochen wird -, und ich vermute, daß Joshuas Körper einen eigenen neutralen Virus enthält, der die neuen genetischen Informationen im ganzen Körper verbreitet, aber der tatsächliche Mechanismus ist uns unbekannt.«
    Tom hob das Kind in die Höhe. Joshuas Gesicht sah einen Augenblick erschrocken aus, aber dann brachte es reine Freude zum Ausdruck. Tom wirbelte ihn wie ein Flugzeug herum und setzte ihn wieder ins Gras. »Kate«, sagte er, »möchtest du damit sagen, daß dein Kind eine Art Mutant ist?«
    Kate, die dem Baby gerade Apfelkompott und Karottenbrei aus dem Korb holte, hielt inne. »Ja«, sagte sie schließlich, »das will ich wohl damit sagen.«
    Tom beugte sich zu ihr und hielt ihr Handgelenk fest. »Aber wenn diese Mutation seinem Körper ermöglicht, dessen Wie-auch-immer-Mangel zu überwinden und das Problem mit dem Immunsystem zu überwinden, dann könnte das die Heilmethode für ...«
    »Für AIDS sein«, sagte Kate mit rauher Stimme. »Und für Krebs. Und für Gott weiß wie viele andere Geißeln, unter denen wir im Verlauf der ganzen Menschheitsgeschichte zu leiden hatten.«
    »Gütiger Himmel«, flüsterte Tom und sah Joshua seltsam an.
    »Ja«, sagte Kate und machte das Gläschen Apfelkompott auf, um ihr Baby zu füttern.
     
    Kate hatte nicht geplant, daß es in dieser Nacht passierte. Sie und Tom waren in den Jahren nach ihrer Scheidung mehrmals dicht daran gewesen, miteinander zu schlafen, aber jedesmal hatten es sich einer oder alle beide anders überlegt. In den zurückliegenden Jahren war ihre neue freundschaftliche Beziehung stets so wichtig gewesen, daß sie sie nicht durch eine sexuelle Beziehung gefährden wollten, die, wie beide wußten, eine emotionale Sackgasse sein würde.
    Aber an diesem Samstagabend war alles anders gewesen. Nur sie beide und Joshua waren im Haus: Julie befand sich auf einer Expedition, um irgendwo in der Nähe von Lake City Gebirgsblumen zu sammeln. Sie grillten Hähnchen auf der Veranda, begaben sich anschließend zur Terrasse auf der Westseite, um den Sonnenuntergang nördlich von Long's Peak zu betrachten, und tranken Wein, bis sich die Sterne am Himmel zeigten. Es schien vollkommen logisch zu sein, als Tom schließlich das Weinglas weggestellt, ihre Hand genommen und sie in das Schlafzimmer geführt hatte, das bis vor sechs Jahren ihr gemeinsames gewesen war.
    Ihr Liebesakt war stürmisch und dennoch zärtlich gewesen, unterstützt durch die Intuition, die ausschließlich intime Vertrautheit mit dem Körper des anderen bringen kann, und hinterher verspürten sie beide einen Anflug von Traurigkeit, als sie einander in den Armen lagen.
    »Wäre es besser, wenn ich ginge?« hatte Tom irgendwann nach Mitternacht geflüstert.
    Kate hatte sich an ihn gekuschelt und ihm eine Hand auf die Brust gelegt. Tom wohnte nicht mehr in der Nähe von Boulder, sondern in einer renovierten Blockhütte am Rollins-Paß, eine Stunde Fahrt durch den Boulder Canyon und dann auf dem ›Peak to Peak‹ Highway nach Süden. Der Gedanke, daß er diese Strecke noch so spät in der Nacht fahren müßte, stimmte sie traurig im Herzen. »Nein«, flüsterte sie, »schon gut. Julie wird morgen abend erst spät zurückkommen. Ich habe Brötchen in der Tiefkühltruhe, und Toby bringt die Times mit, wenn er morgen früh kommt und an der Satellitenschüssel arbeitet.«
    Tom hatte ihr zärtlich über den Kopf gestrichen. Zu den wenigen Ritualen ihrer Ehe, die ihnen beiden Spaß gemacht hatten, gehörte ein ruhiger Sonntagmorgen mit Brötchen, Kaffee und der New York Times.
    Er gab ihr einen Kuß auf den Mund. »Danke, Kat. Schlaf gut.«
    »Du auch«, hatte Kate gemurmelt, während sie schon wieder in einen zufriedenen Schlaf sank.
     
    Sie erwachte ruckartig und war hellwach. Der Wecker zeigte 3:48. Kate war sicher, daß sie etwas gehört hatte. Einen Moment verspürte sie Erleichterung, als ihr einfiel, daß Tom dageblieben war, und sie vermutete, daß sie ihn im Bad herumlaufen gehört hatte, aber als sie sich im Bett aufrichtete, stellte sie fest, daß auch er sich aufrichtete und lauschte. Ein neuerliches Geräusch ertönte aus der Diele.
    Tom legte ihr eine Hand auf den Mund und

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