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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Macht, und die alte UdSSR zerbrach unwiederbringlich.
    Jetzt stellte Kate fest, daß sie sich die ganze Zeit nie Gedanken darüber gemacht hatte, wie diese ganzen Unruhen und Umstürze sich auf die Situation in den Waisenhäusern in Rumänien auswirken könnten. »Ja«, sagte sie schließlich, »es war hektisch, was?«
    »Was ist mit Ihnen?« fragte O'Rourke. »Waren Sie auch beschäftigt?«
    Darüber mußte Kate lächeln. Sie hatte sich fast an die Achtzehn-Stunden-Tage gewöhnt. Sie erinnerten sie an ihre Zeit als Assistenzärztin, nur war ihr Körper damals viel jünger und robuster gewesen. »Ich habe zugesehen, daß ich mich von jeglichem Ärger fernhalte«, sagte sie und fragte sich, noch während sie ihn hörte, weshalb sie ausgerechnet diesen Ausdruck benützte.
    »Gut. Und wie geht es Joshua?«
    Kate konnte den ängstlichen Tonfall in der Stimme des Priesters hören und überlegte sich, daß es Mut seinerseits erfordern mußte, diese Frage zu stellen. Als sie das Land verlassen hatte, hatte sie versprochen, ihm zu schreiben und ihn über den Gesundheitszustand des Kindes zu informieren, aber abgesehen von einer kurzen Nachricht Anfang Juni hatte sie sich nie die Zeit dafür genommen. Sie erinnerte sich, wie krank Josh gewesen war, als sie das Land verlassen hatten, und dachte sich, daß der Priester halb damit rechnen mußte, von Joshuas Tod zu hören.
    »Joshua geht es gut«, sagte sie. »Fast sämtliche Symptome haben sich stabilisiert, aber er braucht immer noch etwa alle drei Wochen eine Transfusion.« Sie machte eine Pause. »Wir machen einige Experimente hinsichtlich der Ursache seines Problems.«
    »Gut«, sagte O'Rourke schließlich. Es war offensichtlich, daß er hoffte, er würde mehr zu hören bekommen. »Nun, es gibt einen Grund für diesen nächtlichen Anruf.«
    Kate sah auf die Küchenuhr und überlegte sich, daß es in Chicago fast ein Uhr sein mußte.
    »Ich werde eine Bitte um Spenden nächsten Monat dem Kirchenrat von Denver vortragen - am sechsundzwanzigsten September, um genau zu sein -, und ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht Lust hätten, sich mit mir auf einen Kaffee oder so was zu treffen. Ich werde das ganze Wochenende in Denver sein.«
    Kate spürte, wie ihr Herz schneller schlug, und schüttelte den Kopf über diese Reaktion. »Klar«, sagte sie. »Ich meine, ich bin im Augenblick schrecklich beschäftigt, und ich vermute, daß ich das im September auch noch sein werde, aber wenn Sie an einem Abend, wenn Sie hier sind, mal nach Boulder kommen möchten, vielleicht am Freitag, den siebenundzwanzigsten, könnten Sie mich sicher besuchen und Josh einmal ansehen.«
    »Das wäre schön.«
    Sie unterhielten sich einen Augenblick über Terminpläne und Wegbeschreibungen. O'Rourke stand ein Auto zur Verfügung, daher war es kein Problem für ihn, von Denver nach Boulder zu fahren. Als das erledigt war, herrschte einen Moment Stille.
    »Nun«, sagte der Priester, »dann will ich Ihnen Ihren Schlaf lassen.«
    »Ich Ihnen auch«, sagte Kate. Sie konnte hören, wie müde seine Stimme klang. Es folgte ein peinlicher Augenblick, als keiner die Gelegenheit nützte, das Gespräch zu beenden.
    »Neuman«, sagte er schließlich, »Sie können von Glück sagen, daß es Ihnen gelungen ist, das Baby außer Landes zu bringen. Sie wissen sicher, daß die Regierung knapp eine Woche nach Ihrer Abreise neue Adoptionen verboten hat.«
    »Ja.«
    »Nun ... Sie haben Glück gehabt.«
    Kate versuchte, unbeschwert zu klingen. »Ich wußte nicht, daß Priester an Glück glauben, O'Rourke. Glauben Sie nicht, daß alles - bitte entschuldigen Sie den Ausdruck - vorherbestimmt ist?«
    Sie hörte ein Seufzen. »Manchmal«, sagte er mit unendlich müder Stimme, »glaube ich, das einzige, woran man glauben und wofür man beten kann, ist Glück.« Sie hörte, wie er die Erschöpfung aus seiner Stimme verdrängte. »Wie auch immer, ich freue mich schon darauf, Sie und Joshua nächste Woche zu sehen. Ich rufe an, wenn ich in Denver bin, und gleiche unsere Pläne noch einmal ab.«
    Sie verabschiedeten sich mit soviel Energie, wie sie aufbringen konnten. Dann saß Kate in dem dunklen Haus und lauschte der mitternächtlichen Stille.
     
    Das RS-Projekt wurde an verschiedenen Fronten fortgesetzt, und jedes neue Forschungsgebiet versetzte Kate in Aufregung und unter enormen Druck.
    Sie hatte zwar das Sagen im Projekt allgemein, aber Chandra war die tatsächliche Chefin bei der Suche nach dem Retrovirus, Bob Underhill und

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