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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Alan Stevens hatten die Analyse von Joshuas blutabsorbierendem ›Schattenorgan‹ übernommen, und Kate selbst versuchte, den Mechanismus zu enträtseln, mit dem Joshs Körper die Spender-RNS aus dem Blut absorbierte und in provirale DNS umwandelte, die bereitstand, in seinem ganzen Körper in die Zellkerne verteilt zu werden. Ihr zweites und unmittelbareres Ziel war, ein Methode zu finden, wie der gesamte Immunrekonstruktionsmechanismus auch ohne massive Bluttransfusionen alle drei Wochen funktionieren konnte.
    Mit Chandra in dem Klasse IV-Labor zu arbeiten kam einer Fortbildung gleich. Die HIV-Spezialistin hatte nicht einmal achtundvierzig Stunden gebraucht, um ihre ›Virusfabrik‹ im CDC Region RM aufzubauen und zum Laufen zu bringen. Kate hatte ihr noch einmal drei Tage ununterbrochener Arbeit gewährt, bevor sie zu einer ersten Konferenz erschienen war.
    »Sehen Sie«, sagte Chandra, während sie Kate das Innerste des Biolabors zeigte, wo sie beide Antikontaminationsanzüge trugen und die Nabelschnüre von Sauerstoffleitungen hinter sich herzogen, »vor zehn Jahren hätten wir bei Null anfangen müssen, um den J-Virus isolieren zu können.«
    »J-Virus?« hatte Kate über den Helmfunk gesagt.
    »Joshua-Virus«, sagte Chandra. »Wie auch immer, selbst vor fünf Jahren hätten wir noch eine Menge Arbeit erledigen müssen, bevor wir auch nur hätten anfangen können. Aber durch die HIV-Forschungen der letzten Jahre können wir einige Abkürzungen nehmen.«
    Kate, die durch das Zischen des Sauerstoffs im Anzug und den Anblick der Techniker, die hinter dem durchsichtigen Fenster hinter ihnen mit Handschuhen und ferngelenkten Greifern arbeiteten, abgelenkt wurde, hatte sich aufs Zuhören konzentriert.
    »Sie wissen, ein Retrovirus ist lediglich ein RNS-Virus, der sein Genprodukt überträgt, nachdem seine RNS durch das reverse Transkriptaseenzym, das über DNS-Polymerase- und Ribonukleaseaktivitäten verfügt, in DNS umgewandelt wurde«, sagte Chandra.
    Es machte Kate nichts aus, daß sie das Offensichtliche erklärt bekam, weil sie wußte, das war die Art und Weise, wie Chandra ihre Erklärungen für jedermann in Worte kleidete. Sie nickte durch den hinderlichen Helm.
    »Also«, fuhr Chandra fort, »die Polymerase stellt eine einstrangige DNS-Kopie der Virus-RNS her, und dann eine zweite Kopie unter Benutzung der ersten Schablone. Ribonuklease eliminiert die ursprüngliche Virus-RNS. Dann wandert diese neue eingedrungene DNS in den Zellkern und wird unter dem Einfluß des viruseigenen Integraseenzyms in das Genom des Wirts integriert und bleibt dort als Provirus.«
    Kate wartete.
    »Nun, wir vermuten, daß der J-Virus sich genau wie jeder andere Retrovirus verhält«, sagte Chandra, die eine Petrischale hob und diese näher an die handschuhgeschützte Hand eines Technikers stellte. »Aber wir gehen davon aus, daß er sich nach dem Lebenszyklus des HIV-Virus modelliert ... oder möglicherweise handelt es sich bei HIV um eine Mutation des J-Virus, das wissen wir einfach nicht. Wie dem auch sei, wir arbeiten unter der Voraussetzung, daß der J-Virus den Weg des geringsten Widerstands geht und gp120-Glykoprotein an CD 4 -Rezeptoren in T-Helferlymphozyten und Langerhanszellen bindet. Nun haben meine Forschungen gezeigt, daß unser alter Freund HIV niemals Zellen ohne CD 4 befällt, aber das wissen wir von J nicht. Dennoch ist und bleibt CD 4 der logische Ausgangspunkt.«
    Kate hatte sofort verstanden. Der HIV-Provirus hatte Zellen befallen und die Immunreaktion verhindert; der J-Virus brach, laut Chandras Ausführungen, RNS auf dieselbe Weise auf, wandelte sie auf dieselbe Weise in RNS um und drang auch auf dieselbe Weise in Zellkerne ein, steigerte aber das Immunsystem der Zelle, statt es zu behindern. »Sie setzen denselben Vektor für die Provirusintegration voraus«, sagte Kate, »versuchen aber, seine Fußabdrücke nach der Umwandlung zu finden.«
    »Selbstverständlich«, sagte Chandra. »Wir können die Zellen nach der reversen Transkriptase mit den Kontrollkulturen vergleichen und herausfinden, wie der kleine Mistkerl genau funktioniert.« Sie sah Kate an. »Ich meine den J-Virus.«
    Kate fuhr mit der handschuhgeschützten Hand über die Arbeitsfläche und hielt unmittelbar vor einer Kultur mit Joshuas Blut an. Allein auf dieser Fläche standen vierunddreißig ähnliche Kulturen. Weiter unten in der Folge standen reihenweise HIV- und SCID-Kulturproben, die vom CDC in Atlanta geschickt worden waren. »Wann

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