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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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kommen die ins Spiel?« fragte Kate und deutete auf die befallenen Kulturen.
    »Vorausgesetzt, der J-Virus unterscheidet nicht zwischen den SCID-befallenen Zellen Ihres Sohnes und anderen SCID-Proben - wozu kein Grund besteht, Retroviren unterscheiden nicht -, können wir theoretisch den Ablauf der Bindung an CD 4 -Zellen in den vorbereiteten SCID-Schablonen beobachten.«
    Kate sah die andere Frau durch die doppelten Schichten Plastik hindurch an. Die Experimente liefen an diesem Punkt erst eine Woche, aber sie brauchte Antworten für ihre eigene Arbeit. »Und konnten Sie beobachten, was Sie erwartet haben?« fragte sie und achtete sorgfältig darauf, mit beherrschter Stimme zu sprechen.
    »Scheiße«, sagte Chandra. Sie wollte sich an der Nase kratzen, bevor ihr wieder einfiel, daß sie den Druckanzug trug. Sie krümmte sich, damit sie sich die Nasenspitze mit dem Schutzhandschuh durch das Plastikvisier des Anzugs kratzen konnte.
    »Entschuldigung. Oh ... ja, wir haben die J-Bindung sowohl an die SCID-Zellen des Patienten wie auch die vorbereiteten Kulturen dokumentiert. Kommt dem HIV-Modell ziemlich nahe.«
    Chandra gehörte zu den Forschern, die fast das Interesse an zurückliegenden Schritten eines Projekts zu verlieren schienen, wenn dieser Schritt bewerkstelligt worden war. Aber Kate hatte die Frau bewußt mehrere Tage arbeiten lassen, ohne sie durch Besprechungen oder Memoranden zu stören; jetzt brauchte sie Antworten.
    »Wenn sich HIV an CD 4 bindet«, sagte Kate und betrachtete die Kultur ihres Adoptivsohnes, als könnte sie dort Aktivitäten sehen, »ruft die Infektion von T-Lymphozyten einen zytopathischen Effekt hervor und hinterlegt eindeutige ... Fußabdrücke, wie Sie sich ausgedrückt haben ... wie etwa das Entstehen vielkerniger Zellfusion, wenn die gp120 an der Oberfläche infizierter Zellen mit dem CD 4 anderer CD 4 -tragender Zellen verschmelzen. Das ist zumindest ein Teil des Grundes, weshalb wir so einen dramatischen Verlust von T-Helferzellen miterleben, obwohl der HIV-Retrovirus nur ...oh, eine von 10 5 CD4-Zellen im Blut befällt.«
    Chandra sah sie an, als hätte sie vergessen, daß Kate Hämatologieforscherin war. »Und?«
    Kate unterdrückte einen schneidenden Unterton in der Stimme. »Haben Sie dieselben Zellfusionsformationen gefunden?«
    Chandra schüttelte den Kopf. »Ich habe Pionierarbeit geleistet bei der Behandlung von HIV-positiven Opfern mit rekombiniertem löslichem CD 4 -Protein, um die Infektion an dem Punkt durch Hemmung der Zellfusion zu verlangsamen. Aber das würde im Falle des J-Virus nicht funktionieren.«
    Kates Hoffnung zerstob. »Warum nicht?«
    »Das Integraseenzym des J-Virus transferiert die eindringende umgewandelte DNS nicht in die 1 von 10 4 oder 1 von 10 5 der Blutzellen, wie wir es sonst gewohnt sind, Kate.« Chandras Augen sahen hinter dem spiegelnden Plastik sehr nachdenklich und sehr intelligent aus.
    »Wie hoch ist die Rate?« fragte Kate. Wenn sie zu gering war, sanken die Chancen, einen künstlichen J-Virus zu klonen, deutlich ab.
    »Nach den ersten hundert untersuchten Proben«, sagte Chandra mit gepreßter Stimme, »schätzen wir eine Infektion von 98,9 Prozent.«
    Kate war zumute, als hätte ihr jemand in den Magen geschlagen. Sie vergewisserte sich, daß der Tresen hinter ihr frei war, und setzte sich darauf. »Achtundneunzig Komma neun?«
    »Und das ist eine zurückhaltende Schätzung.«
    Kate schüttelte den Kopf. AIDS tötete seinen Wirt, indem eines von tausend oder zehntausend weißen Blutkörperchen infiziert wurde. Der J-Virus war so wirksam, daß innerhalb einer Stunde nach der Infektion praktisch alle Zellen im Wirtskörper neu programmiert wurden.
    »Zytotoxizität?« sagte Kate. Eine derart schnelle und umfassende Infektion von Zellkernen mußte schreckliche Nebenwirkungen haben.
    Chandra zuckte die Achseln. »Mikrobiologisch gesehen ... schwupp. Transfer und Umwandlungsprozeß verbrauchen selbstverständlich mucho Energie ... aber das haben Sie ja schon mit dem steigenden Fieber des Babys während des Prozesses dokumentiert. Nach dieser Absorption und Rekonstruktion von Blut ist das Kind ein chemischer und genetischer Schmelztiegel. Aber der Vorgang ist im Grundsätzlichen nach wenigen Stunden abgeschlossen, auch wenn unsere vorläufigen Studien darauf hindeuten, daß eine vollständige genetische Assimilierung etwa eine Woche oder so dauern müßte.«
    Kate deutete mit der geschützten Hand auf die anderen Kulturen. »Und die

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