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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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DNS-Transfer und dem Problem der Blutsubstituierung machte ebenfalls gute Fortschritte. Fast zu gute, dachte sie. Sie sah nicht nur eine Möglichkeit, Joshua vom SCID-Aspekt seiner Krankheit zu heilen, sondern sie war auch überzeugt, daß ihre Arbeit Chandra helfen würde, den Durchbruch in Sachen HIV zu schaffen.
    Alles lief zu gut.
    Kate, die keineswegs abergläubisch war, hatte dennoch Bedenken, daß das Gleichgewicht des Leids im Universum sich bald wieder einstellen würde.
    Dann, am Sonntag, dem 22. September - was sie anbetraf, ein ganz normaler Werktag -, verriet ihr der elektronische Wizard-Terminplaner, daß am nächsten Tag die Herbstsonnenwende war, daß Joshua am Dienstag Geburtstag hatte - zumindest, daß der Tag kam, an dem sie seinen Geburtstag immer feierten -, und daß Pater Michael O'Rourke sie noch vor Ablauf der Woche besuchen würde.
    Kate wußte, daß sie ihm - ohne die Einzelheiten des Projekts preiszugeben - wunderbare Dinge zu erzählen haben würde. Sie wußte nicht, daß sich ihr Leben innerhalb einer Woche für alle Zeiten ändern sollte.

Kapitel 18
     
    Kate kam am Dienstag früher nach Hause, um Joshuas elfmonatigen ›Geburtstag‹ zu feiern. Diese monatlichen Feiern waren Julies Einfall gewesen: Zu einer Zeit, als nicht sicher war, ob das Baby noch eine Woche überleben würde, von einem Monat ganz zu schweigen, schien es wichtig zu sein, jeden Meilenstein zu feiern. Kate hatte sich willkürlich für den vierundzwanzigsten entschieden, mußte aber zugeben, daß ihr die Symmetrie der Zahl gefiel.
    Die Abendnachrichten von CBS berichteten über Bergarbeiter, die in Rumänien Amok gelaufen waren und gefordert hatten, daß sie mit Zügen nach Bukarest gebracht wurden, wo die Unruhen dann als allgemeiner Protest gegen die Regierung fortgesetzt worden waren. Kate erinnerte sich, daß das gegenwärtige Regime im Jahr zuvor ›Bergarbeiter‹ - viele davon Agenten der Securitate in Overalls von Bergarbeitern - dazu benutzt hatte, das eigene Volk einzuschüchtern. Sie verfolgte die Videoaufzeichnungen von Männern, die Fenster einschlugen, Molotowcocktails auf Gebäude warfen und Türen mit Brechstangen aufbrachen, und sie fragte sich, was sich tatsächlich in diesem gebeutelten kleinen Land abspielen mochte. Sie war froh, daß sie und O'Rourke nicht mehr dort waren, und hoffte, daß sich Lucian und seine Familie im Hintergrund hielten.
    Joshua mochte seinen Kuchen. Er wartete nicht, bis ihn Kate und Julie langsam mit dem Löffel fütterten, sondern riß ganze Stücke mit den Händen von dem Kuchen ab und schmierte sich soviel ins Gesicht, daß er bald fast soviel um den Mund herum verteilt hatte wie sich noch auf seinem Teller auf dem Tablett des Babystuhls befand. Später, nachdem sie sein Gesicht mit einem Waschlappen abgewischt und ihn auf den Boden gesetzt hatte, damit er mit seinem Holzpinguin spielen konnte, betrachtete Kate ihren Sohn mit einem klinischen, wenn nicht kritischen Blick.
    Oberflächlich betrachtet bot Joshua ein Bild der Gesundheit: pummelig, rosige Wangen, strahlende Augen, und allmählich bekam er auch richtige Haare statt des Kranzes dunklen Flaums. Aber Kate wußte, daß es sich um eine Manifestation des letzten Abschnitts seiner, wie sie es nannte, »manisch gesunden« Phase handelte; in nicht einmal einer Woche würden Diarrhöe und Apathie sich wieder einstellen, gefolgt von schwerwiegenderer Lethargie und Infektionen. Bis zur nächsten Transfusion.
    Kate betrachtete ihr Baby, das auf dem Rücken lag und mit dem Holzspielzeug kämpfte - zwei Pinguine auf einem Holzwägelchen, deren Lederfüße tapsten und deren Holzschnäbel sich bewegten, wenn sich die Räder drehten. Kein anspruchsvolles Spielzeug in einer Zeit, da Nintendo alles beherrschte, aber eines, das Joshua aus irgenwelchen Gründen faszinierte.
    Kate wußte aus ihren Babybüchern und durch Gespräche mit anderen Müttern, daß ein elf Monate altes Kind schon allein stehen und sitzen, unter Umständen sogar laufen können sollte. Joshua lernte gerade zu krabbeln. Sie wußte, daß ›normale‹ elf Monate alte Kinder sich manche Kleidungsstücke schon selbst anziehen, einen Löffel halten, mehrere Worte, darunter »Mama« sagen und das Wort »Nein« verstehen konnten. Joshua kam mit Kleidung und Löffel nicht zurecht, sprach nicht, abgesehen von gelegentlichem Brabbeln, und man mußte selten einmal »Nein« zu ihm sagen. Er war körperlich und sozial ein zurückgebliebenes Kind. Zwar fühlte er sich bei

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