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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Kate und Julie offensichtlich wohl, hatte aber Wochen gebraucht, bis er sich in Gegenwart von Tom unbeschwert gefühlt hatte.
    Joshua ließ das Pinguinspielzeug fallen, drehte sich auf den Bauch und bewegte sich halb kriechend, halb krabbelnd Richtung Eßzimmer.
    »Er ist unternehmungslustiger«, sagte Julie mit dem Mund voll Kuchen. »Heute morgen wollte er zur Eingangstür, als ich ihn aus seinem Bett geholt habe.«
    Kate lächelte. Weder sie noch Julie waren der Meinung, daß Joshua aufgrund seiner vereinsamten Kindheit geistig behindert war; lediglich seine Entwicklung hinkte hinterher. Kate hatte die Meinung von drei befreundeten Spezialisten für frühkindliche Entwicklung eingeholt, und alle drei hatten eine unterschiedliche Meinung über die langfristigen Folgen geäußert, die fünf Monate in einem rumänischen Waisen- oder Krankenhaus auf ein Kind haben konnten. Zwei der Spezialisten hatten Joshua gesehen und waren beide der Meinung, daß der Junge vergleichsweise normal und gesund aussah, lediglich klein für sein Alter und in der körperlichen und geistigen Entwicklung etwas hinterher. Als Kate jetzt ihren Sohn beobachtete, wie er über den Teppich des Wohnzimmers krabbelte und dabei Geräusche wie ein Flugzeug von sich gab, sah sie das Verhalten eines glücklichen Acht- oder Neunmonatigen und nicht des elf Monate alten Jungen, dessen ›Geburtstag‹ sie gerade feierten.
    Als sie ihn später in ihrem eigenen Schlafzimmer ins Bett legte, hob Kate Joshua ein letztes Mal hoch, tätschelte ihm den Rücken, roch seinen Talkum- und Babygeruch und fühlte den weichen Flaum seines Haares an den Wangen. Sein winziges Händchen griff nach ihrem Gesicht. Der regelmäßige Atem verriet, daß er bereits schlief und träumte, was elf Monate alte Kinder auch immer träumen mochten.
    Kate legte ihn auf den Bauch, zog die Decke über ihn und unterhielt sich noch eine Weile mit Julie, dann gingen die beiden Frauen wieder an ihre Computer und ihre eigene Arbeit zurück.
     
    Am Mittwoch trafen sich die drei Teams des RS-Projekts in dem fensterlosen Konferenzzimmer in der Nähe des Tomographielabors. Zusätzlich zu den Teamchefs und deren ersten Assistenten waren Direktor Mauberly und zwei weitere hochrangige Verwaltungsbeamte des CDC anwesend.
    Bob Underhill und Alan Stevens machten mit ihrer Präsentation des Absorptionsorgans den Anfang. Als sie fertig waren, herrschte betroffenes Schweigen im Raum.
    Ken Mauberly ergriff als erster das Wort. »Sie wollen damit sagen, daß dieses Kind ... Joshua ... über eine spezielle Mutation der Magenwand verfügt, mit der er Blut für Ernährungszwecke absorbieren kann.«
    Underhill nickte. »Aber wir glauben, daß dieser Zweck zweitrangig ist. Der primäre Grund für die Existenz dieser Mutation besteht darin, das Blut in seine Bestandteile zu zerlegen, damit der Retrovirus - den Chandra und Neuman J-Virus getauft haben - auf effiziente Weise die geborgte RNS zu Immunrekonstruktionszwecken verteilen kann.«
    Mauberly kaute auf seinem teuren Füller. »Aber damit das funktioniert, müßte das Kind verdauen.«
    Alan Stevens schüttelte den Kopf. »Nein. Das Blut wird durch die Kapillaren des Absorptionsorgans geleitet, wobei es keine Rolle spielt, wie es in den Körper gelangt ist. Wir vermuten, daß es ein paar Stunden länger dauern würde, damit es im Falle von Nahrungsaufnahme statt Transfusion zu wirken beginnt, aber selbstverständlich haben wir keine diesbezüglichen Experimente angestellt ...« Er machte eine Pause, sah Kate an, dann seine Notizen. Stevens räusperte sich. »Niemand möchte dem Patienten Blut in Form von Nahrung zuführen, aber wenn wir mit der Analyse des Absorptionsorgans weiterkommen wollen, könnte das notwendig sein.«
    Mauberly runzelte die Stirn. »Ich kann nicht ... ich sehe keinen Sinn für den Überlebensmechanismus, wenn das Blut getrunken wird. Ich meine, dabei denke ich nun ... nun ...«
    Kate stand auf. »Vampire?« sagte sie. »Bela Lugosi?«
    Nervöses Gelächter ertönte.
    »Wir haben alle solche Witze gehört oder gemacht, seit das Projekt begonnen wurde«, sagte Kate lächelnd und vertrieb so die Nervosität, »und das liegt eigentlich nahe, wenn man bedenkt, wo Joshua geboren wurde. Transsilvanien. Das Land der Vampire. Und dafür könnte es einen Grund geben.« Sie nickte Chandra zu.
    Die Virologin stand auf, löschte mit der Fernbedienung das Licht und schaltete den Diaprojektor ein. »Diese Diagramme zeigen eine hypothetische Familie

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