Kinder der Nacht
vollkommen gleichgültig. Dann versetzte er ihr einen harten Schlag, umklammerte ihr Haar noch brutaler, wirbelte sie herum, hob sie hoch und warf sie weit über den Rand der Felsklippe hinaus.
Kate verspürte einen irren Augenblick völligen Hochgefühls, während sie über von Flammen erhellten Baumwipfeln schwebte - ich kann einen Ast packen! -, aber der Ast war zu weit entfernt, ihr Sturz zu schnell, und dann verspürte sie Panik, als sie Kopf voraus durch Zweige fiel, die an ihrer Kleidung rissen und ihr die Schultern zerkratzten.
Und dann verspürte sie heftige Schmerzen im Arm und der Seite, als sie auf etwas fiel, das weitaus härter als ein Ast war.
Dann spürte sie überhaupt nichts mehr.
Träume von Blut und Eisen
Meine Feinde haben mich immer unterschätzt. Und sie mußten stets den Preis dafür bezahlen.
Das Licht, das jetzt zu den kleinen Fenstern meines Schlafzimmers hereinfällt, hat eine herbstliche Tönung, wenn es über die rauhen weißen Wände, über die breiten Dielen des Fußbodens und über die zerwühlte Steppdecke auf meinem Bett wandert. Mein Gefängnis.
Ich sterbe hier seit Jahren, seit einer Ewigkeit. Die anderen tuscheln miteinander und denken, ich kann nicht hören, wie verzweifelt ihre Stimmen klingen. Ich weiß, daß es Probleme mit der Zeremonie der Weihe gibt. Sie haben Angst davor, mir von dem Problem zu erzählen; sie fürchten, es könnte mich beunruhigen und meine endgültige Auslöschung beschleunigen. Sie haben Angst, ich könnte sterben, bevor die Weihe stattgefunden hat.
Das glaube ich nicht. Nach all den Jahrhunderten ist es schwer, mit der Gewohnheit zu leben, so schmerzlich es auch sein mag, zu brechen. Ich kann nicht mehr gehen, kann kaum den Arm heben, aber dieser verfluchte Leib versucht weiterhin, sich selbst zu erneuern, obschon ich seit meiner Ankunft in der Heimat vor mehr als eineinhalb Jahren nicht mehr am Sakrament teilgenommen habe.
Es könnte sein, daß ich mich bald nach diesem Flüstern und dem hektischen Kommen und Gehen erkundige. Es könnte sein, daß meine Feinde wieder die Köpfe erheben. Und meine Feinde haben mich immer unterschätzt.
Ich begann meine Herrschaft im August 1456 und ließ die Zeremonie der Ölung in der Kathedrale von Tîrgovişte abhalten, der Stadt, wo mein Vater regiert hatte. Ich erfand meinen eigenen Titel: »Fürst Vlad, Sohn von Vlad dem Großen, Souverän und Herrscher über die Walachei und die Herzogtümer Amlas und Făgăraş.« Nach meiner Flucht aus dem Palast des Sultans und in Anerkennung der Allianzen, die ich mit den bojarischen Adligen von Transsilvanien geschlossen hatte, fand Jănos Hunyadi es klüger, bei der Rückk ehr eines Dracula auf Draculs Thron mitzuhelfen.
Anfangs war meine Stimme leise und versöhnlich. In einem Brief schrieb ich einen Monat, nachdem ich den Thron der Walachei bestiegen hatte, an den Bürgermeister und Ratsvorsitzenden von Braşov und benützte m ein bestes Latein, um sie mit honesti viri, fratres, amici et vicini nostri sinceri oder »aufrichtige Männer, Brüder und Freunde und rechtschaffene Nachbarn« anzureden. Binnen zwei Jahre sollten sich die meisten dieser feisten Bürger an den Pflöcken winden, wo ich sie gepfählt hatte.
Von einer Freude erfüllt, die nicht einmal das Meer der Zeit hat schwächen können, erinnere ich mich an den Ostersonntag des Jahres 1457. Ich hatte die Bojaren - diese adligen Paare, die sich in dem Glauben wiegten, daß ich nac h ihrem Gefallen regierte - zu einem großen Fest nach Tîrgovişte eingeladen. Nach der Ostermesse begaben sich die Besucher in den Festsaal und die offenen Innenhöfe, wo lange Tafeln mit erlesenen Speisen für diese Edelleute und deren Familien aufgestellt w orden waren. Ich gestattete ihnen, das Festmahl zu beenden. Dann erschien ich zu Pferde in Begleitung von hundert meiner getreuesten Soldaten. Es war ein wunderschöner Frühlingstag, wärmer als die meisten. Der Himmel hatte eine tiefe, erschreckend blaue Farbe. Ich erinnere mich, daß die Bojaren mir zujubelten, daß ihre Damen vor Bewunderung mit den Spitzentaschentüchern winkten, daß sie ihre Kinder auf die Schultern setzten, damit diese ihren Wohltäter besser sehen konnten. Ich warf als Antwort auf ihren Jubel meine gefiederte Mütze hoch. Das war das Zeichen, auf das meine Soldaten gewartet hatten. Die ältesten Bojaren und deren Frauen wurden auf meinen Befehl hin auf den Pfosten gepfählt, die ich vor der Stadtmauer hatte errichten lassen,
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