Kinder der Stürme
wundern“, sagte Maris. Sie trank den letzten Schluck Kivas und stellte den Krug beiseite. „Nun gut, ich werde ihm einige Ratschläge geben, falls er sie akzeptiert.“
„Gut“, sagte Sena. Sie nickte lebhaft und stand auf. „Ich danke dir. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich fürchte, ich habe noch zu tun.“ Auf dem halben Weg zur Tür hielt sie inne und wandte sich um. „Ich weiß, daß es schwer für dich ist, Maris. Wenn du ihn erst besser kennst, entsteht vielleicht so etwas wie Zuneigung zwischen euch. Er bewundert dich, dessen bin ich mir sicher.“
Maris war durch diese Worte überrascht, versuchte aber, es nicht zu zeigen. „Ich kann ihn nicht bewundern“, sagte sie. „Und je öfter ich ihn sehe, desto weniger kann ich mir vorstellen, daß ich Sympathie für ihn hegen könnte.“
„Er ist jung“, sagte Sena. „Er hat es nicht leicht gehabt und ist von dem Wunsch besessen, seine Flügel zurückzugewinnen. Ihm geht es ähnlich wie dir vor ein paar Jahren.“
Maris schluckte ihren Ärger hinunter. Sie vermied es, eine Tirade über den Unterschied zwischen Val Einflügler und ihr selbst loszulassen, denn es hätte nur gehässig geklungen.
Die Stille dauerte an. Dann hörte Maris, wie sich Senas leise Schritte entfernten.
Am nächsten Morgen begann das Abschlußtraining.
Die sechs Kandidaten flogen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Einige von denen, die nicht an den Wettkämpfen teilnahmen, besuchten ihre Familien auf Seezahn, Shotan oder anderen nahegelegenen Inseln. Jene, deren Zuhause zu weit war, saßen auf den nackten Felsen, um ihre glücklicheren Kameraden zu beobachten und davon zu träumen, daß auch für sie der Tag einmal kommen würde, an dem sie die Chance hatten, ihre Flügel zu gewinnen.
Sena stand auf der Startplattform und rief ihren flügge gewordenen Fliegern Ratschläge und Aufmunterungen zu. Dabei stützte sie sich manchmal auf einen Holzstock, den sie auch benutzte, um ihnen Zeichen und Kommandos zu geben. Maris flog Wache. Sie kreiste, beobachtete und erteilte Vorsichtsmaßregeln. Sie stellte S’Rella, Damen, Sher, Leya und Kerr auf die Probe, indem sie im Wettflug gegen jeweils zwei Schüler antrat und sie dabei zu luftakrobatischen Kunststücken herausforderte, die die Schiedsrichter beeindrucken würden.
Val hatte genausooft wie die anderen Gelegenheit, die Flügel zu tragen. Aber Maris stellte fest, daß sie ihn schweigend beobachtete. Er hat schon zweimal an Wettkämpfen teilgenommen, dachte sie. Er muß wissen, was erwartet wird. Ihn so zu behandeln wie die anderen Holzflügler wäre Herablassung. Aber Maris beherzigte das Versprechen, das sie Sena gegeben hatte, und studierte seinen Flug aufmerksam. Beim Abendessen wollte sie ihn aufsuchen.
Im Gemeinschaftsraum hatte man nur ein Feuer entfacht; die Bänke waren seltsam leer. Als Maris eintrat, waren fast alle Studenten, die nicht an den Wettkämpfen teilnahmen, um einen Tisch gedrängt. Sena saß an einem zweiten und führte eine angeregte Unterhaltung mit Sher, Leya und Kerr. S’Rella und Val saßen allein am dritten Tisch.
Maris ließ sich von Damen einen Teller mit Fischeintopf füllen, nahm sich ein Glas Weißwein und setzte sich zu ihnen.
„Wie schmeckt es?“ fragte sie, als sie gegenüber von Val Platz nahm.
Er sah sie ruhig an, aber sie konnte nicht aus seinen großen dunklen Augen lesen. „Ausgezeichnet“, sagte er. „Selbst in Luftheim konnten wir uns nicht über das Essen beklagen. Flieger haben einen gesegneten Appetit, selbst jene, die Holzflügel tragen.“
S’Rella setzte sich neben ihn und schob gleichgültig ein Stück Hakenflosse über ihren Teller. „So gut ist es nun auch wieder nicht“, sagte sie. „Damen kocht immer recht fad. Du solltest hier sein, wenn ich Küchendienst habe. Südliches Essen zeichnet sich durch seine Gewürzzutaten aus.“
Maris lachte. „Durch zu viele, wenn du mich fragst.“
„Ich spreche nicht von Gewürzen“, sagte Val. „Ich spreche über das Essen. Dieser Eintopf enthält vier oder fiinf verschiedene Fischsorten und Gemüse, und ich glaube, die Soße ist mit Wein abgeschmeckt. Das Gericht ist sehr vielfältig und nichts ist verkocht. Nur Flieger, Landmänner und reiche Händler würden so wählerisch über das Essen reden.“
S’Rella sah gekränkt aus. Maris runzelte die Stirn und legte ihr Messer hin. „Die meisten Flieger essen einfach, Val. Wir können es uns nicht erlauben, Fett anzusetzen.“
„Man hat mir schon
Weitere Kostenlose Bücher