Kinder des Donners
war ihm ei- ne Idee gekommen ... und, so verrückt wie sie war, er
hatte sie verwirklicht. Er brauchte seine bescheuerten Eltern kaum zu sehen ...
Na ja, während der ersten paar Tage nach dem Ende des Sommerschuljahres, gerade so lange, um sie davon zu überzeugen, daß er nach Hopstanton zurückkehren mußte. Er konnte seine Überredungskraft nicht durchs Telefon wirken lassen; er mußte körperlich zugegen sein. Eines baldigen Tages, so beabsichtigte er, wollte er versuchen herauszufinden, wie diese Kraft funktionier- te, doch da er faul und träge war, hatte er den Plan bis
jetzt noch nicht in die Tat umgesetzt.
Warum sollte er sich Gedanken machen, da er doch
jeden Menschen — Jungen, Mädchen oder Erwachsene — um den sprichwörtlichen kleinen Finger wickeln konnte? (Oder, wie er oft dachte und manchmal sagte,
um ein anderes Glied?)
Er hatte diese Tatsache recht eindringlich bewiesen.
In einer terrassenförmig gestalteten Anlage von klei- neren Häusern, die an das Schlafgebäude des Internats
anschloß, hatte er Mildred getroffen, eine hübsche jun- ge Witwe, deren Mann bei einem Unfall in der Firma, bei der er gearbeitet hatte, ums Leben bekommen war und sie mit einer Tochter von sechzehn Jahren, noch hübscher als sie selbst und mit dem Namen June, zu- rückgelassen hatte. Sein Mitleid mit ihrem schweren Los war der Anfang einer engen — na ja, vielleicht nicht gerade Freundschaft, denn Mildred war, um offen zu sein, nicht die Hellste, und June war auch nicht viel pfif- figer. Man könnte also sagen, einer praktischen und er- giebigen Verbindung.
Es hatte nicht die geringsten Schwierigkeiten bereitet, ihnen vorzuschlagen, daß sie alle drei gemeinsam den
Leuten, die bei dem Film mitarbeiteten, einen attrakti-
ven Dienst bieten sollten. Zugegeben, am Anfang hat- ten sie Bedenken gehabt, doch als sie merkten, wieviel
Geld sie damit machen konnten, auch nach Abzug von Rogers Provision ...
Natürlich war er streng darauf bedacht, sich davon zu überzeugen, daß jeder Kunde ein AIDS-Zertifikat be- saß.
Als Folge davon hatte er Leute kennengelernt, die in- ternationalen Ruhm genossen: einen der großen Regis- seure, seinen Produzenten, vier seiner Stars und jede Menge Schauspieler mit kleineren Rollen. Roger selbst hatte in verschiedenen Massenszenen als Statist mitge-
wirkt, und es wurde ihm sogar eine Sprechrolle angebo- ten, als das Mitglied der Truppe, das den Part hätte sprechen sollen, an einer Halsentzündung litt. Doch er
hatte Verstand genug, um abzulehnen. Er war sich der
Notwendigkeit bewußt, nicht allzusehr in Erscheinung zu treten.
Bereits am ersten Tag des neuen Schuljahrs verbreite- te sich die Kunde von seinem großen Wurf. Das war zwar absolut nicht nach dem Geschmack seines Haus- aufsehers, doch das war das kleinere Problem: er brauchte nur Mrs. Brock ein paar Minuten lang schön- zutun, und schon war sie, wie immer, auf seiner Seite. Wenn er nur nicht weiterhin an diesem widerlichen Ort bleiben müßte ...!
Es wäre jedoch verfrüht gewesen, um auszubrechen und die wertvollen Kontakte, die er in der Filmwelt ge- schlossen hatte, wahrzunehmen. Es war nicht etwa so, daß er es vorgezogen hätte hierzubleiben und die Lan- geweile des täglichen Unterrichts über sich ergehen zu lassen, die obligatorischen Gottesdienste, die kleinen Machtbefugnisse der Vertrauensschüler; es war viel-
mehr so, daß er sich noch nicht in der Lage fühlte, den
Schlag ganz allein durchzuführen. Die Anwendung sei- ner Überredungskraft war schließlich in manchen Fällen ziemlich schwere Arbeit — bei Mr. Brock zum Beispiel, und vor allem beim Direktor, der zwar ein gewisses In- teresse an ihm hegte, jedoch kaum dazu gebracht wer-
den konnte, sich dem »Effekt« auszusetzen.
Der Geistliche hatte sich zum Glück vom ersten Au- genblick an als gefügig erwiesen und Roger schon mehr als einmal die Stange gehalten. Er hatte seine Zweifel, was den Spaß betraf, den er aus ihren Intimitäten ge- winnen konnte, doch bis jetzt hatte er sein Gefühl für die Sünde erfolgreich zurückgedrängt. O ja! Die Dinge liefen nicht schlecht!
Es überraschte ihn nicht sonderlich, als er am ersten
Abend des Winterhalbjahrs zum Hausaufseher gerufen wurde. Er pfiff sogar vor sich hin, während er sich zu dessen Büro begab — bis er durch ein offenstehendes
Fenster einen schwarzen Wagen bemerkte.
Es war der Rover seiner Eltern. Und daneben stand ein Rolls-Royce, den er nicht kannte, den er auch noch nie zuvor hier in
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