Kinder des Donners
und ihr Ehemann hatten eigentlich vorgehabt, ihm ungefähr in diesem Alter die Wahrheit zu sagen, aber offenbar hat- ten sich die Dinge nicht allzu günstig entwickelt, und sie hatte Angst, daß er, wenn sie es täten, besessen wäre von dem Drang herauszufinden, wer sein ... ah ... bio- logischer Vater ist. Da man heutzutage nicht mehr all- zuviel über künstliche Befruchtung weiß — Entschuldi- gen Sie, ich bin absoluter Laie auf diesem Gebiet, doch ich habe den Eindruck, daß sie buchstäblich über Nacht aus der Mode kam, als AIDS die Szene bestimmte. Ist das so?«
Dr. Grant lehnte sich zurück, mit nachdenklicher Miene und aneinandergelegten Fingerspitzen.
»Es ist sicher wahr, daß AIDS eine spürbare Auswir- kung hatte. Vor allem dank der Medien, wenn Sie diese
Bemerkung entschuldigen wollen, entstand viel Panik, und zukünftige Eltern zögerten immer mehr, den Sa-
men eines anonymen Spenders zu akzeptieren. Ande- rerseits kamen noch etliche andere Faktoren hinzu. In
erster Linie natürlich die Entwicklung der In-vitro-Be-
fruchtung. Sofern der Ehemann nicht gerade überhaupt keine lebensfähige Spermata hat, können wir heute ein Ei der Frau nehmen und buchstäblich einen Embryo herstellen, der der natürliche Sprößling beider Elterntei- le ist. Dann wird er wieder implantiert, und mit etwas Glück entwickelt er sich normal.«
»Aber das sind alles verhältnismäßig neue Metho- den?«
»Wie neu ist >neu< in diesen Zeiten?« entgegnete Dr. Grant mit einem dünnen Lächeln. »Es ist gut ein Jahrzehnt oder so her, seit wir ein Stadium erreichten, in dem offenkundig wurde, daß die künstliche Befruch-
tung zwangsweise bald überholt sein würde. Damals zum Beispiel, als ich anfing, mich auf diesem Gebiet zu betätigen und in der ehemals berühmten Klinik Chinn- Wilkinson arbeitete, leistete AID zweifellos einen wert- vollen Dienst an der Gemeinschaft. Weit über dreitau- send Schwangerschaften wurden jedes Jahr erfolgreich in die Wege geleitet, allein in Großbritannien. Nur in
der Chinn-Wilkinson-Klinik führten wir im Durch- schnitt jährlich schon vier- oder fünfhundert durch. Das bedeutete fast tausend zufriedene neue Eltern.«
»Und das nur in einer Klinik? Das ist sehr eindrucks- voll.« Claudia hoffte, daß ihr Ton von Überzeugungs- kraft getragen war. »Bitte, sagen Sie mir doch — nur in- teressehalber —, hatten Sie so etwas wie eine typische Klientel? Es liegt auf der Hand, daß sich die einzelnen
Fälle voneinander unterschieden, aber kann man verall- gemeinernd Parallelen feststellen?«
»Ja!« antwortete Dr. Grant unverzüglich mit Nach-
druck. »Die Leute, die in die Chinn-Wilkinson-Klinik
kamen, waren genau von der gleichen Sorte wie die, die
uns jetzt hier aufsuchen: Ehepaare in geordneten Ver- hältnissen, mindestens seit fünf Jahren verheiratet, oft sogar seit zehn. Sie haben auf die herkömmliche Weise versucht, ein Kind zu bekommen; sie haben sich an Be- ratungsstellen für Unfruchtbare gewandt, neigen aber dazu, Hormonpräparaten wegen der Gefahr der Mehr- lingsgeburten zu mißtrauen — wir wenden sie manch- mal an, aber nur selten, und zwar aus genau dem glei- chen Grund —, und sie haben es mit Alternativen ver-
sucht, zum Beispiel mineralischen Substanzen. Recht häufig haben sie das ganze Spektrum alternativer Me- thoden abgegrast — von Akupunktur und sogar Hand- auflegen — ich bitte Sie! — bis zu Naturkräutern und Homöopathie. Sie sind fest entschlossen, so kann man sagen. Sie wollen ein Kind! Ich kann mich an einige Fäl- le erinnern ... Nun, ich denke, ich sollte nicht so über Menschen reden, denen es sicher sehr ernst ist, aber es
ist eine traurige Tatsache, daß viele von ihnen nicht wis-
sen, auf was sie sich einlassen. Um es deutlich zu sagen,
einige der Leute, die sich schließlich an uns wenden, ha- ben bereits doppelt soviel Geld für Techniken ausgege-
ben, die nicht halfen, als es gekostet hätte, wenn sie von Anfang an zu uns gekommen wären.«
»Wollen Sie damit sagen, daß das ein Bereich ist, in dem die Moral einiger Praktiker — nun, sagen wir, nicht die höchste ist?«
»So etwas würde ich niemals sagen«, erwiderte Dr. Grant lächelnd. »Ich ziehe es vor, es dabei zu belassen. Aber kommen wir nicht ziemlich weit vom Thema ab?«
»Ja, natürlich. Verzeihen Sie.« Claudia zwang ihre Gedanken wieder zurück zu der erfundenen Mutter, die sich wegen ihres künstlich empfangenen Sohnes Sorgen machte. »Was ich also vor allem herausfinden
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