Kinder des Donners
vollkommene Stille, als ob die Kinder gespannt darauf lauschten, was er über sie sagen würde, und sich darauf vorbereiteten,
anschließend über sich selbst den Urteilsspruch zu fäl- len.
Oder — und dieser Gedanke bescherte ihm eine Gän- sehaut — sind sie durch diese Pheromone zu einem Superor-
ganismus verflochten, so daß sie unweigerlich der gleichen
Meinung wie ihr Anführrer sein müssen, weil sie gar nicht an- ders können ...?
Die Vorstellung, was das bedeutete, hätte fast verhin- dert, daß er Davids nächste Worte hörte.
»Nach Roger habe ich Verbindung mit Crystal aufge- nommen. Sie hat nun wirklich eine sehr schlimme Zeit
hinter sich. Ihre gesetzlichen Eltern kamen bei einer Meningitis-Epidemie ums Leben. Es wurde zwar ein Heilmittel gefunden, doch zu spät. Wenn nur ein Bruch- teil des Geldes, das in diesem Land täglich für Waffen
ausgegeben wird, für die Entwicklung eines Impfstoffes
aufgewendet worden wäre, wären sie aller Wahrschein-
lichkeit nach davongekommen. Crystal wäre dann nicht
der Obhut einem Paar religiöser Eiferer anvertraut wor- den — wäre nicht wegen nichtiger >sündiger< Vergehen geprügelt worden, bis sie schließlich dazu getrieben wurde, wegzulaufen und sich ihren Lebensunterhalt als
Prostituierte zu verdienen, und gezwungen war, ihren Körper das erstemal dem Arzt zur Verfügung zu stellen, der sie gegen AIDS impfte.«
Peter, der blaß geworden war, wußte, welches der Mädchen Crystal war. Sie nickte langsam, wippte lang- sam vor und zurück, im gleichmäßigen Rhythmus einer chinesischen Nickpuppe.
»Im Vergleich zu ihr — auch wenn er dem nicht zu- stimmen mag — hatte es Garth leicht. Er saß in der Falle auf einem einsamen Bauernhof; eingebrockt hatten ihm das Ganze seine Eltern, deren Überzeugung von der Rückkehr zu einem >Leben auf dem Land< ihn der schlichtesten Erfahrungen beraubt hatte, auf die sich ein junger Mensch normalerweise freuen durfte. Doch er war immerhin in der Lage, den Spieß umzudrehen, so daß sie schließlich nach seiner Pfeife tanzten und nicht
umgekehrt. Richtig, Garth?«
Es war das erstemal, daß er bei einem der anderen Kinder um Zustimmung nachsuchte. Peter straffte sich, da er auf einen Widerspruch hoffte. Doch im Gegenteil. Garth ließ ein böses Kichern vernehmen.
»Sie waren leicht zu erschrecken. Als ich den preisge- krönten Schäferhund unserer bescheuerten Nachbarn umgebracht, und besonders als ich deren Sohn in unse- rem Bach ertränkt hatte, waren sie erstaunlich gefügig.«
Ein Mädchen ergriff das Wort; es saß in der dunkel- sten Ecke, wo Peter sein Gesicht nicht sehen konnte. Die
Stimme klang jedoch sehr nach Ellen ...! Wenn sie nicht einen geringfügig anderen Tonfall gehabt hätte, hätte es die Stimme seiner Tochter ...
Es ist die Stimme meiner Tochter.
Langsam, begleitet von Übelkeit, durchdrang die Er- kenntnis der Wahrheit seinen Geist.
Was sagte sie? Er zwang sich, sich ihre ersten Worte, die er fast verpaßt hätte, ins Bewußtsein zu rufen.
»Ich habe meinen ersten Mord noch früher als du be- gangen, Garth. Ich bin Sheila Hubbard, Dad ... David, ich möchte gern für mich selbst sprechen.«
»Nur zu«, ermunterte sie David mit einer ausholen- den Handbewegung und fügte quasi als Randbemer- kung hinzu: »Seit du bei uns bist, hat Sheila einen Sin- neswandel durchgemacht, was ihre Einschätzung ihrer Lage angeht.«
»So ist es«, bestätigte das Mädchen und kauerte sich vor, wobei sie die Ellbogen auf die Knie aufstützte. »Ich dachte immer, ich sei schuld, daß der Soldat ums Leben kam ...«
»Der, der im Fluß ertrunken ist?« fragte Claudia.
»Ja, der.« Sheilas Stimme war so tot wie der Soldat. »Aber ich war lediglich diejenige, die ihn umgebracht hat. Schuld war meine Mutter, weil sie unbedingt gegen
den Willen ihres ersten Mannes ein Kind wollte und es rücksichtslos durchsetzte ...«
»Wie?« brachte Peter mühsam heraus.
»Laß sie ausreden!« wies ihn David scharf zurecht.
»Ich habe dir doch erklärt, daß die Chinn-Wilkinson-
Klinik keine annähernd so hohe Moral hatte, wie ihre Besitzer behaupteten, besonders wenn Tausende von Pfund auf dem Spiel standen ... Sprich weiter, Sheila!«
Sie zuckte die Achseln und spreizte die Hände. Im- mer noch mit der gleichen eintönigen Stimme murmelte sie: »Nun, sie hat ihn verlassen und wieder geheiratet, diesmal einen reichen alten Großkotz mit einem Haufen Geld. Lange Zeit wußte ich nicht, daß ich nicht das Kind meines
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