Kinder des Holocaust
Ausgabe hatte – viele Leute würden sich dafür interessieren, und vielleicht bekam er für die folgende Ausgabe einige Anzeigen mehr. Die hauptsächliche Quelle seiner Einnahmen waren Andy Gill, der jedesmal für seinen Tabak und die Getränke in dem Blatt warb, und Fred Quinn, der Apotheker; dazu fielen immer ein paar Kleinanzeigen an. Aber wie früher lief das alles nicht.
Ausgelassen hatte er in seiner Meldung selbstverständlich die Tatsache, daß der Brillenmann aus Bolinas mit üblen Absichten in West Marin gewesen war; doch das wußte hier sowieso jeder. Gewisse Mutmaßungen gingen sogar dahin, daß er nur gekommen sei, um den hiesigen Technikus zu entführen. Aber weil es sich dabei lediglich um einen Verdacht handelte, konnte man es nicht drucken. Er widmete seine Aufmerksamkeit dem nächsten wichtigen Beitrag.
DANGERFIELD SCHWER ELEND?
Hörer des abendlichen Satellitenprogramms wissen zu berichten, Walt Dangerfield habe kürzlich bekanntgege
ben, er sei »krank, wahrscheinlich ein Magengeschwür
oder eine Herzerkrankung«, und brauche ärztlichen
Beistand. Den Berichten zufolge sollen die im Förstersaal
des Forstamtes versammelten Rundfunkhörer darüber
große Besorgnis geäußert haben. Mr. Cas Stone, der den Apokalyptischen Nachrichten Näheres geplaudert
hat, ließ durchblicken, daß man als letzte Rettung einen
Herzspezialisten in San Rafael konsultieren werde, und
ferner sei diskutiert worden, daß Fred Quinn, Inhaber
der Apotheke bei Point Reyes, zum Armee-HQ bei
Cheyenne reisen solle, um dort für Dangerfield Medi
kamente abzuliefern, ohne daß eine entsprechende Ent
scheidung zustandegekommen wäre.
Der übrige Inhalt der Zeitung umfaßte verschiedene lokale Meldungen von minderrangiger Bedeutung: wer mit wem gegessen, wer welchen Nachbarort besucht hatte ... Er las den Rest nur flüchtig durch, vergewisserte sich vor allem, daß die Anzeigen einwandfrei gedruckt waren, dann machte er sich an die weitere Vervielfältigung der Ausgabe.
Und selbstverständlich fehlten in der Zeitung noch andere Vorfälle, bestimmte Vorkommnisse, die man einfach nicht drukken konnte. Hoppy Harrington von Siebenjähriger geschockt, zum Beispiel. Dietz lachte vor sich hin, als er an die Schilderungen dachte, die man ihm gegeben hatte: wie es dem Phoko angst und bange geworden war, er in aller Öffentlichkeit Mordsschiß bekommen hatte. Mrs. Bonny Keller hatte wieder einmal ein neues Verhältnis angeleiert, diesmal mit dem neuen Lehrer an der Schule, Hal Barnes ... Das hätte eine Schlagzeile geben können! Jack Tree, der Schafzüchter des Landkreises, beschuldigte Unbekannte (zum wieviel millionstenmal?), ihm Schafe zu stehlen. Was noch? Mal sehen, dachte er. Der berühmte Tabakexperte Andrew Gill erhielt dieser Tage den Besuch einer unbekannten Person aus der Stadt, wahrscheinlich im Zusammenhang mit einer Fusion von Gills Tabak- und Getränkevertrieb mit einer noch nicht genannten großen städtischen Genossenschaft. Kaum hatte er den Gedanken beendet, schnitt er eine finstere Miene. Falls Gill aus dieser Gegend wegzog, verloren die Apokalyptischen Nachrichten ihren regelmäßigen Anzeigenkunden; und das war alles andere als eine erfreuliche Aussicht.
Vielleicht sollte ich das doch veröffentlichen, überlegte er, um hier ein bißchen die Stimmung der Einheimischen gegen das anzuheizen, was Gill da möglicherweise im Sinn hat. Fremde Einflüsse im heimischen Tabakgeschäft spürbar ... So könnte man es mal vorsichtig ausdrücken. Fremdling zweifelhafter Herkunft im Landkreis gesehen. Auf diese Art. Solche Sprüche könnten Gill zur Besonnenheit veranlassen. Immerhin ist er ja ein Zugezogener ... Er achtet auf die hiesige Stimmungslage. Er ist erst seit dem Tag X hier. An sich ist er keiner von uns.
Wer war diese düstere Gestalt, die man mit Gill sprechen gesehen hatte? Alle im Ort waren neugierig. Gefallen hatte es niemandem. Einige behaupteten, es sei ein Neger; andere sagten, der Mann wäre nur infolge von Strahlenverbrennungen so dunkelhäutig – ein Strahli, wie man solche Personen nannte.
Kann sein, daß ihm was zustößt, überlegte Dietz, so wie dem Brillenmann aus Bolinas etwas zugestoßen ist. Schließlich gibt es hier recht viele Leute, die gegen Einflüsse von außen was haben. Es ist gefährlich, hier aufzukreuzen und sich in etwas einzumischen.
Das Ableben Eldon Blaines erinnerte ihn natürlich an den Tod Austurias' ... Letzterer war allerdings durch die Bürgervertretung
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