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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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älter als sie selbst war. Bei ihrer ersten Begegnung unmittelbar nach der Prüfung durch die Cognatio hatte sie sie nicht richtig wahrgenommen. Ihr Verstand war damals zu sehr von den Ereignissen gefangen gewesen.
    Eleonora war hübsch anzuschauen, die hellblauen Augen richteten sich mal hierhin, mal dorthin, um möglichst viel von dem Raum zu erfassen. Sie trug Parfüm, das Gesicht war weiß gepudert, die Wangenpartien sowie der Mund mit roter Farbe betont, während die Augenbrauen schwärzer wirkten als von Natur aus.
    Eleonora schaute über die Töpfe. »Sauerkraut?«
    »Sauerkraut mit einem kräftigen Eintopf, dazu Brot und Wein«, erklärte Scylla. Sie hatte sowohl den verblüfften Blick als auch den ungläubigen Tonfall bemerkt. »Was gibt es daran auszusetzen?«
    »Nichts.« Eleonora lächelte diplomatisch. »Es wird eine Abwechslung zu den Wachteln, den mit Kaviar gefüllten Eiern, dem Hirschbraten und den Klößen sein, die meine Mutter ansonsten gerne isst.«
    Scylla seufzte. »Ich befürchte, dass ihr unser einfaches Essen wohl nicht schmecken wird.«
    Eleonora schüttete das Sauerkraut in eine Schüssel und stibitzte sich zwei Strähnen davon. Genüsslich kaute sie. »Mmh! Ich jedenfalls mag es jetzt schon«, verkündete sie und lachte. »Meiner Mutter wird es schmecken, Scylla. Sei unbesorgt. Alle wissen, dass dein Vater sich die Extravaganz erlaubt, ganz ohne Personal auszukommen. Doch heute sollst du Hilfe haben.« Sie hob das Gefäß an. »Wohin geht es?«
    Scylla wurde von der Heiterkeit der Elevin angesteckt. »Die Treppe hinauf.« Sie mochte Eleonora.
     
    Nach dem Essen, das allen mundete, wollten sich die Baronin und Karol unter vier Augen unterhalten. Also schickte er Scylla und Eleonora mit dem Geschirr in die Küche.
    »Eleonora, zeig Scylla, wie man sich als junge Dame zurechtmacht«, schlug Lydia vor und nahm den Fächer zur Hand, um sich Kühlung zu verschaffen. »Wir kommen später zu euch.«
    Die jungen Frauen räumten ab, stiegen aus der Scheune hinab und brachten das Geschirr in die Küche. Scylla musste erneut gegen den Brechreiz ankämpfen, und das Sauerkraut verursachte ihr Magenbrennen, wie sie es nicht kannte; schnell trank sie ein Glas Milch, um sich Linderung zu verschaffen.
    Eleonora nahm das Paket. »Wo ist dein Zimmer, Scylla?«
    »Oben, unter dem Dach.« Sie ging voran, und gemeinsam stiegen sie die Stufen empor, bis sie das Gemach erreicht hatten, das durch eine Wand aus Segeltuch in der Mitte aufgeteilt war. »Diese Seite gehört mir, die andere meinem Vater.«
    Eleonora ging zum Bett und öffnete die Verpackung. »Ich habe etwas Schönes für dich«, sagte sie und zog ein weißes Kleid hervor, um es in die Höhe zu halten. »Sieh her.«
    »Für mich?« Scylla starrte auf das Geschenk. »Es ist aus Seide!«
    »Und bestickt mit weißen Perlen, hier oben am Hals und am Ausschnitt entlang.« Sie drehte es um; schwarze Blumenstickereien wurden sichtbar. »Es wird dir stehen, Scylla.« Vorsichtig legte sie das Kleid auf die Decke und kam zu ihr. »Komm, ich helfe dir, es anzulegen.«
    Scylla schlüpfte aus dem blauen Kleid und stand in Unterwäsche vor Eleonora. »Das ist doch sicherlich teuer gewesen?«
    »Sehr teuer, Scylla – wie es sich für ein Geschenk der Baronin Metunova gehört«, meinte sie und lachte wieder auf diese unbekümmerte, sympathische Weise. »Weißt du, ich bin sehr froh, heute hier zu sein.« Sie führte Scylla am Arm vor den Spiegel, der auf der Kommode stand. »Ich komme selten aus dem Schloss meiner Mutter heraus und lebe ein wenig wie eine Gefangene.«
    »Mir erging es genauso!« Sie verfolgte, wie Eleonora kleine Döschen und Tiegelchen aus dem Karton nahm und sie auf der Kommode aufreihte. Verbundenheit baute sich zwischen den beiden jungen Frauen auf.
    »Ich glaube beinahe, es ergeht allen Elevinnen und Eleven so.« Eleonora holte Pinsel in verschiedenen Größen hervor, dann sah sie Scylla an. »Pass gut auf, ich erkläre dir, wie wir uns noch anziehender für den Rest der Welt machen, als wir es ohnehin schon von Natur aus sind.«
    Mehr als eine Stunde dauerte der Unterricht, der, wie Scylla erkannte, ebenfalls eine Wissenschaft war und sie tief in die Geheimnisse des Schminkens einführte. Sie erfuhr alles darüber, wie man die Wangen betonte, die Augen hervorhob, die Wirkung des Dekolletés verstärkte und welche Wohlgerüche an welche Körperstellen gehörten.
    Als sie am Ende in den Spiegel schaute, erschrak sie fast vor sich selbst. Die

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