Kinder des Judas
niemals mehr enden würde. Gleichzeitig entfachte der lange Kuss unbändiges Begehren.
Die Zunge der Baronin fuhr leicht in seinen Mund, und sein Rausch steigerte sich. Sie schmeckte rein und frisch und ein bisschen nach Zimt. Er ließ seinen Stock fallen und hob die Arme, um die Frau zu umschlingen und sie an sich zu ziehen –
– doch die Baronin war verschwunden!
Er griff ins Leere und verlor das Gleichgewicht, so dass er sich an der Hauswand abstützen musste. »Was …?« Einsam stand er in der Gasse, blinzelte und schluckte. »Baronin?” Er spürte ihre Lippen, den Zimtgeschmack auf seiner Zunge. »Baronin?«, rief er lauter und lauschte.
Es blieb still in Medvegia.
Viktor griff in den Schnee, nahm eine Hand voll davon auf und rieb sich damit das Gesicht ab. Die Kälte sollte ihm den letzten Rest der rätselhaften Benommenheit nehmen, auch seinen Stock nahm er wieder auf. Plötzlich vernahm er Schritte, die sich ihm näherten, begleitet vom Klingeln eines Glöckchens, das im Takt des Stiefelgeräuschs erklang.
»Baronin, sind Sie …?«
Aus dem Nebel trat ein stark gebräunter Mann, der einen Kopf kleiner war als Viktor. Ein kurzer Bart und ein dicker Schnauzer bedeckten sein Gesicht. An seinen Ohren schimmerten große, goldene Ringe. Eine breite Narbe verlief von der rechten Schläfe quer über die Nase und am Mund vorbei bis zum Hals. Er hatte sich einen Lederharnisch über seinen hellen, abgewetzten Mantel geschnallt, auf dem eine Ikone befestigt war; rund um das Heiligenbild prangten Schriftzeichen und religiöse Symbole. In der linken Hand hielt er einen gravierten Säbel, an seinem Handgelenk baumelten unzählige Armbändchen.
Bevor Viktor etwas zu sagen vermochte, wurde er von dem Mann in einer fremden Sprache angesprochen.
»Ich verstehe dich nicht«, antwortete er. »Hast du die Baronin gesehen?«
Der Mann horchte in den Nebel hinein. »Niemez«, meinte er dann, senkte den Säbel und rief etwas hinter sich, während er die Waffe verstaute; aus dem Dunst erschallten zahlreiche Stimmen zur Antwort. »Ich bin Libor«, stellte er sich mit starkemAkzent vor. »Der Pope hat uns geschickt, nach Ihnen zu suchen.«
»Um mich zu suchen?« Viktor atmete ein und versuchte, die merkwürdige Benommenheit aus seinem Geist zu vertreiben. Es war mit nichts zu vergleichen, was er an Rauschzuständen bereits erlebt hatte, und der Zimtgeschmack lag noch immer bleischwer auf seiner Zunge. Ohne ihn hätte er beinahe vermutet, dass es sich bei der Baronin um einen Spuk gehandelt hatte. »Wieso?«
Der Mann grinste. »Sie waren seit heute Mittag unterwegs, Niemez. Und als die Nacht hereinbrach, hat er sich Sorgen gemacht, dass Sie einem Vampir zum Opfer fallen könnten.« Libor musterte ihn. »Ist alles in Ordnung?«
Viktor nickte. Er nahm an, dass der Mann zu den Zingaros gehörte, von denen Vater Ignaz gesprochen hatte. »Ist dir eine Frau entgegengekommen?« Rasch beschrieb er sie.
»Nein, Niemez. Sie wäre mir sicherlich aufgefallen.« Er deutete die Straße entlang. »Wohin wollten Sie?«
»Zum Haus des Popen.«
»Dann haben Sie sich gründlich verlaufen. Sie waren auf dem besten Weg zum nördlichen Dorfrand.« Libor winkte ihm. »Ich führe Sie.« Dann rief er wieder etwas laut in die Finsternis, und wieder bekam er Antwort in einem Kauderwelsch.
»Bist du ein Zingaro?«, fragte Viktor, als sie durch den Nebel zum Haus des Popen liefen.
»Ja, das bin ich. Und ein Dhampir dazu«, meinte Libor und verlangsamte seine Schritte, damit der hinkende Viktor nicht zurückfiel.
»Ein … ein was? Das klingt ein wenig nach Upir und Vampir …«
»Es bedeutet, dass mein Vater ein Vampir war. Deswegen bin ich vor allen anderen in der Lage, die Ungeheuer zu erkennen und sie zu töten, wie kein normaler Mensch es könnte.«
»Das Kind eines Vampirs?« Viktor glaubte, sich verhört zu haben. »Ich dachte, diese Wesen lassen sich nicht mit Menschen ein, sondern
töten
sie.«
»Versuchen sie auch.« Libor lachte und zeigte auf seine Narbe. »Aber sie kehren manchmal zu ihren Frauen zurück und machen ihnen Kinder. Die meisten Bälger sterben recht früh, ich dagegen hatte Glück.« Er zeigte auf das Haus, das sich aus den Schwaden schälte. »Wir sind da, Niemez.« Er klopfte gegen die Tür. »Ich bin es, Vater. Libor«, rief er. »Wir haben den Niemez gefunden, und er ist unversehrt.«
Die Tür wurde geöffnet, und Ignaz erschien. »Das war sehr töricht, bis in die Nacht unterwegs sein zu wollen, Herr von
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