Kinder des Judas
Uhrendeckel eingearbeitet war. Es blieb ungewohnt ruhig in ihm, der Schmerz und die Trauer trafen ihn nicht mit der üblichen Macht. Er vermutete, dass es an den besonderen Umständen lag, unter denen er in Medvegia lebte. Er war einfach zu aufgeregt.
Ignaz kam an den Tisch und stellte zwei Schüsseln darauf. »Aber Sie verlassen uns nicht?«
»Mir bleibt wohl kaum etwas anderes übrig«, murmelte Viktor, der seine Entscheidung nur für wenige Sekunden bereute. »Nein, ich bleibe sogar gerne.« Er ließ den Deckel der Uhr zuschnappen und setzte sich an den Tisch; das Essen roch sehr gut.
»Was mich wundert, ist«, der Geistliche gab eine Kelle des Eintopfs in das Gefäß, »dass Sie für einen Kaufmann, der eigentlich Pelze sucht, ein beharrliches Interesse an unseren Vampiren zeigen. Man könnte Sie für einen Wissenschaftler halten statt für einen Krämer.«
»Das bin ich gewesen.« Viktor grinste und erinnerte sich an seine kurze Studienzeit. »Ich wollte wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Aber nach zwei Jahren drängte mich mein Vater, das Geschäft unserer Kaufmannsfamilie nicht zu vergessen. Ich gab das Leben als Studiosus der Tradition zuliebeauf, auch wenn mein Professor mich zum Bleiben bewegen wollte.«
»Mit Verlaub: Das Leben eines Pelzhändlers steht Ihnen wenig.« Ignaz nahm sich selbst von dem Essen, dann betete er und dankte für das Mahl; mit Appetit machten sie sich darüber her. »Sie haben viele Aufzeichnungen gemacht. Für was?«
Viktor nahm sich von dem Brot und bröckelte die harte Rinde in die Suppe, damit sie aufweichte. »Weil ich es unglaublich faszinierend finde, was ich hier erlebe.«
»Faszinierend? Wir nennen das erschreckend«, warf der Pope ein.
»Ich habe größtes Verständnis für die Furcht der Menschen, doch gleichzeitig höre ich zum ersten Mal von diesen Toten, die wie Lebendige des Nachts umherstreifen. Dabei war ich viel in Europa unterwegs und kenne so manche Geistergeschichte.« Er rührte die Suppe und aß einen Löffel davon. »Aber Vampire, oder wie immer sie von den Dörflern genannt werden, sind mir keine begegnet.«
Ignaz zog die Nase hoch. »Und was gedenken Sie mit diesen Geschichten zu tun? Sie nach Hause senden und sich über uns lustig machen?«
Viktor verneinte entschieden. »Ich habe doch selbst gesehen, dass mich eine der Toten anschaute, obwohl es … eigentlich nicht sein kann. Es mag sein, dass mein Hang zum Erforschen, wie ich ihn an der Universitas auslebte, wieder durchgedrungen ist. Ich bin zeit meines Lebens unterwegs, suche das Neue und die Herausforderung. Vergessen Sie nicht, Vater Ignaz, dass ich einer der ersten Menschen bin, die von Ihren Vampiren hören.«
»Sie sind einer der ersten, die aus dem Westen kommen und davon hören.« Ignaz bekreuzigte sich. »Bei uns kennen selbst die kleinen Kinder diese Geschichten.«
»Bei uns verhält es sich so mit den Hexen«, merkte Viktor an und löffelte weiter. Er überlegte, wie er die kommenden Tagebis zum Eintreffen der zweiten Kommission verbringen könnte. »Würden Sie mir wohl weiterhin als Übersetzer dienen?«, fragte er Ignaz. »Ich möchte von Haus zu Haus ziehen und die Menschen zu den Vampiren befragen. Ich will alles über sie wissen.«
»Sicher. Aber wenn Sie mehr erfahren wollen, als die Menschen hier Ihnen berichten können, warten Sie noch etwas. Soweit ich weiß, hat man nach Zingaros rufen lassen, damit sie uns die Vampire vom Hals schaffen. Die Menschen hier fürchten sich zu sehr vor ihnen. Es war ein Wunder, dass sie die Särge überhaupt freigelegt haben, und ohne die Anwesenheit der Soldaten hätten sie sich sicherlich geweigert.«
Viktor nahm an, dass Ignaz Zigeuner meinte. Er übernahm den Ausdruck von dem Geistlichen. »Deswegen die … Zingaros?«
»Ja. Sie machen so etwas für Geld und werden Ihnen noch mehr zu den Untoten sagen können.«
»Wer hat sie gerufen?«
»Der Heyduck Jowiza. Das ist unser … Oberster des Dorfes.« Der Pope sah zum Fenster, durch das er nur diesiges, schleierhaftes Grau erkannte. Nebel war aufgestiegen. »Für die Fragen des Glaubens bin ich verantwortlich, alles andere fällt ihm zu.«
Viktor bemerkte seinen Blick. »Was machen wir mit den Gräbern? Glaser hat verboten, die Leichen in irgendeiner Weise zu beschädigen.«
Ignaz nickte und fluchte gleichzeitig, danach entschuldigte er sich bei den Ikonen, die überall herumhingen. »Wir haben die Gruben zugeschüttet und mit Steinen bedeckt. Niemand wird es wagen,
Weitere Kostenlose Bücher