Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
Vom Netzwerk:
und ihr wirkte sie noch schöner, und der dunkle Mantel, den sie um die Schultern gelegt hatte, passte kaum zu dem, was er bislang an den Dörflern gesehen hatte. Ein starker Parfümduft ging von ihr aus.
    »Verzeihung.« Viktor senkte den Stock. »Sie haben mich in einem Augenblick angesprochen, in dem ich gedanklich bei grausigen Dingen weilte.«
    Sie sah an ihm vorbei auf die Gräber. »Ich verstehe, Herr von Schwarzhagen.«
    »Hat sich mein Name herumgesprochen?« Er lächelte. »Ich war nicht darauf gefasst, an diesem Ort von jemand anderem als dem Popen meine Muttersprache zu hören.«
    Die junge Frau deutete eine Verbeugung an, bei der ihre Kapuze noch weiter ins Gesicht rutschte und die dunkelgrauen Augen abschirmte. »Ich bin Baronin Illicza.«
    Eine Baronin
, wunderte sich Viktor. »Sagt, was treibt eine Frau Eures Standes in diese Gegend?«
    »Ich bin aus dem gleichen Grund in diesem Dorf wie Sie, Herr von Schwarzhagen. Das Leid der Menschen hat mich berührt … und neugierig werden lassen.« Sie berührte einen Pfahl. »Wissen Sie, wozu das dient?«
    »Vermutlich, damit sich der Vampir, wenn er sich nach oben gräbt, selbst aufspießt?«
    »Genau.« Die Baronin hielt ihm den Arm hin und gab ihm so zu verstehen, dass sie von ihm vom Friedhof geleitet zu werden wünschte. Nur zu gerne kam er dieser Aufforderung nach.
    »Es ist schon spät«, sagte sie, als sie losgingen. »Hat man Ihnen nicht gesagt, dass Sie vor der Dämmerung in einer sicheren Unterkunft sein sollten?«
    Viktor nickte. »Das hat man. Wo sind Sie untergebracht, wenn ich fragen darf? Gibt es denn in diesem Ort eine Behausung, die standesgemäß wäre?«
    Sie lachte auf, und Viktor sah weiße, makellose Zähne, was eine große Seltenheit war. »Nein, das sicherlich nicht. Ein Freund von mir hat in der Nähe einen Gutshof, auf dem ich mich aufhalte.« Sie trat enger an ihn heran, offenbar weil sie fröstelte. »Was für ein Wetter, Herr von Schwarzhagen. Es ist wieder kälter geworden.«
    »In der Tat.« Viktor wurde durch die Nähe dieser Frau nahezu schwindelig. Sie besaß eine ungeheure Ausstrahlung bei allem, was sie tat, gleich ob sie sprach, lachte oder sich bewegte. Ihre Augen schienen zu leuchten und deuteten auf einen wachen, regen Geist hin. Er genoss ihre Gegenwart in dem dreckigen, schmutzigen Dorf mit seinen ärmlichen Bewohnern und der furchtbaren, unverständlichen Sprache.
    Sie schlenderten durch den dichter werdenden Nebel. Die Umgebung versank in einer grauen Zwischenwelt, in der Geräusche anders klangen und die Sinne verwirrt wurden. Kaum verließen sie die Mauern des Friedhofs, hatte Viktor auch schon die Orientierung verloren. Er wusste nicht mehr, wo genau sie sich befanden, und obwohl er es war, der ihren Arm sanft hielt, war es doch die Baronin, die ihn an geisterhaften Häuserfassaden vorbeiführte, ohne dass sie einmal ins Stocken geriet. Es war unwirklich, mit ihr durch den Nebel zu laufen.
    »Es ist nicht mehr weit bis zum Haus des Popen«, sagte sie amüsiert. »Machen Sie sich etwa Gedanken, ich könnte Sie entführen?« Sie blieb neben einem erleuchteten Fenster stehen, so dass der Lichtschein gedämpft auf ihr Gesicht fiel, und sah ihn an.
    Viktor versank in ihrem Blick, erfreute sich an ihrem Gesicht und merkte, wie sich ihr Anblick in seinen Verstand brannte. Sie neigte sich vor, Parfüm umwehte ihn, und das Schwindelgefühl nahm zu. Die Erinnerung an Elvira, die ihn sonst stets begleitete, wurde beinahe gänzlich ausgelöscht, ebenso die an Susanna, die beiden Frauen wurden nebensächlich und belanglos. Alles, was für ihn zählte, war die Baronin mit den unglaublich wundervollen dunkelgrauen Augen. Er öffnete den Mund, doch es gelang ihm nicht, etwas zu sagen.
    »Was ist mit Ihnen, Herr von Schwarzhagen? Sie wirken benommen.« Es erschien Viktor wie ein Traum, als sie die Hand hob und seine linke Wange streichelte. Sie lächelte unergründlich. »Oder habe ich Sie in meinen Bann geschlagen, mein schöner Fremder?« Er wollte ihr antworten, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. Und dann geschah etwas, mit dem er nie gerechnet hätte: Die Hand der Baronin glitt zu seinem Nacken und zog ihn sanft, doch unwiderstehlich nach vorne, bis sich ihre Lippen aufeinanderlegten.
    Sonnen und Sterne explodierten vor Viktors Augen, die Gefühle überwältigen ihn. Er dachte nicht mehr, er nahm nichts mehr von seiner Umgebung wahr – alles, was er spürte, war die weiche Haut der Baronin, und er wünschte sich, dass es

Weitere Kostenlose Bücher