Kinder des Judas
kluge Frau werden würde. Und da bin ich sicher nicht der Einzige. Oder glaubst du, die Baronin hier wäre allein deinem Liebreiz verfallen und würde nicht auch ganz andere Pläne verfolgen?« Marek sah, dass sie ihre Dolche nicht senkten. »Was habt ihr vor?«
»Wir sind wachsam«, entgegnete Scylla. Dass er versuchte, einen Keil zwischen Lydia und sie zu treiben, ließ sie argwöhnisch werden. In seinen Augen erkannte sie Eifersucht, die sich sowohl gegen Viktor als auch gegen die Baronin richtete; dass er sie benutzt hatte, um an die Formel zu kommen, passte in das Bild, das sie in den letzten Jahren von ihm gewonnen hatte. Ein echter Judassohn.
»Das ist löblich. Sicherlich sendet Carzic bald wieder seine Umbrae aus, auch wenn er behaupten wird, sie seien ihm ausgebrochen.« Marek faltete die Hände hinter dem Rücken und betrachtete Lydia. »Was gedenkt Ihr jetzt zu tun, Baronin? Die Cognatio verlassen, für wertlose Menschen forschen und an der Seite einer Frau altern und sterben, die Euch mit einem Mann hintergeht? Könnt Ihr das in dem Wissen, dass diese Frau ein Mittel gegen den Verfall in den Händen hält und es Euch nicht zukommen lässt, weil sie es für falsch hält, ewig zu leben?« Er lächelte tückisch.
Lydia schnaubte. »Spart Euch das Gift, Baron. Es wirkt bei mir nicht.«
»Es ist kein Gift, Baronin, sondern die Wahrheit. Und auch sie wirkt – oftmals besser als die Lüge.« Er langte an den Gürtel unter den Mantel und zog seine eigene Waffe. Mit der Spitze voran setzte er sich die Klinge auf die Brust. »Damit Ihr seht, wie ernst und ehrlich ich bin, werde ich mich auf der Stelle umbringen, wenn meine Halbschwester bei ihrer toten Mutter schwört, dass sie nicht weiß, welches dieser Bücher das Geheimnis birgt.«
Lydia schaute kurz zu ihrer Freundin. »Stimmt es, dass du weißt, wo die Formel sich befindet?«
Scyllas Herz setzte zwei Schläge aus. »Ich schwöre ganz gewiss nicht auf Mutter.«
»Seht Ihr, Baronin? Sie weiß, warum sie sich weigert«, stichelte Marek. »Eure Geliebte lässt Euch des Alters sterben.«
»Halt dein Maul«, herrschte Scylla ihn an. »Hätte ich dein wahres Gesicht schon früher erkannt …«
»Weißt du, wo sich die Formel befindet?«, hakte Lydia nach und senkte den Dolch, dann wandte sie sich zu ihr. Ihr Tonfall veränderte sich, sie klang nun bittend. »Wir müssen es niemandem aus der Cognatio verraten. Nur wir nehmen es, wir drei, und leben ewig. Und wir könnten forschen und …«
Scylla schüttelte den Kopf. Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken, als die sie erschütternde Wahrheit erkannte. Wenn sich ihre Freundin so schnell von Mareks Einflüsterungen verführen ließ, war sie noch lange nicht bereit, der Cognatio abzuschwören. Oder? Es gab nur einen Weg, dies herauszufinden. »
Niemand
soll die Formel erhalten.«
Marek schnellte auf sie zu und packte sie am Arm. »Du wirst mir mein ewiges Leben nicht vorenthalten, Schwester!«, schrie er und legte den Dolch an ihren Nacken. »Nenne mir das Buch, oder du fährst auf der Stelle zur Hölle!«
Scylla sah zu Lydia, die stocksteif dastand und sie anstarrte. Sie glaubte zu ahnen, was in ihrer Freundin vorging: Lydia rang mit sich, wusste nicht, ob sie eingreifen sollte oder nicht – es ging um eine Sache, die auch ihr untotes Leben betraf. Die Formel war von enormer Bedeutung.
»Hilf mir«, flüsterte sie und ächzte, als Marek ihr den Dolch langsam ins Fleisch trieb, bis der Damaszenerstahl auf die Wirbelsäule stieß; warm floss ihr das Blut den Rücken herab. »Ich beschwöre dich, hilf mir, Lydia!« Scylla wusste, dass sie sich selbst retten konnte. Doch darum ging es nicht.
»Baronin, Ihr solltet Euch mir anschließen«, knurrte er. »Wir beide, eine echte Aeterna und ein echter Aeternus, während die anderen vor unseren Augen altern. Wie gefällt Euch das?«
Lydias Augen huschten zwischen Bruder und Schwester hin und her.
»Liebste, bitte. Er teilt nicht mit dir! Marek wird sich zum Ischariot auf Lebenszeit ausrufen und dich ausschalten, sobald sich eine Gelegenheit bietet.« Sie stöhnte, als er die Schneide spitz gegen den Knochen drückte. »Siehst du nicht, was er mit mir tut?«
Die Baronin riss den Arm mit ihrer Waffe in die Höhe.
XVI.
Kapitel
22. Dezember 1731
Medvegia
V iktor war seit jener Nacht, als er die geheimnisvolle Baronin getroffen hatte, beunruhigt. Wer war diese Frau? Was wollte sie von ihm?
Um sich abzulenken, hatte er sich in den letzten Tagen
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