Kinder des Judas
»Um auf die Vampire zurückzukommen: Es gibt Menschen, denen man ansieht, dass sie nach ihrem Tod aus den Gräbern steigen und Verzweiflung in die Dörfer bringen.«
»Nicht so schnell, bitte.« Viktor stellte die Tasse ab und langte nach der Feder.
»Kleine Kinder, die mit Zähnen oder einer dritten Brustwarze zur Welt kommen, werden unweigerlich zu einem Vampir, oder auch solche, die mit einer Haube geboren werden«, erklärte Libor langsam. »Das meint, dass es Reste der Fruchtblase auf dem Kopf trägt. Die Seele kann so nicht in es einfahren, wenn es auf die Welt kommt, und damit ist es anfällig für Dämonen.«
Viktor schaute den Zingaro an. »Was haben denn Zähne und Brustwarzen damit zu tun?«
»Zeichen des Bösen, Niemez. Es markiert seine Opfer, um zu zeigen, wie mächtig es ist.« Libor leerte die Tasse. »Die Kunst besteht darin, diese Zeichen zu erkennen und sich vorzubereiten.«
»Und wie ist es bei den Kindern von Vampiren? Wären nicht vor allem sie auserkoren, nach dem Tod zu Vampiren zu werden?« Viktor betrachtete das Gesicht seines Gastgebers und war gespannt.
Libor nickte. »Da haben Sie recht, Niemez. Auch mir würde dieses Schicksal blühen, aber meine Sippe gibt acht. Wenn es so weit ist, dass ich meine Seele aushauche, werden sie mir den Kopf abschlagen und mich verbrennen, damit ich kein weiteres Unheil anrichten kann.« Er grinste. »Es wäre für mein Weib unerträglich, wenn sie mich gar nicht mehr loswerden würde.«
Viktor musste lachen und trank vom Kaffee. »Ihr reist durch die Gegend und vernichtet Vampire? Das ist euer Handwerk?«
»Nein, nicht ausschließlich. Wir machen viele Dinge, welche andere nicht erledigen möchten, auch Scheren und Messer schleifen, Kesselflickerei, wir handeln mit Gewürzen und Kräutern, betreiben Wahrsagerei, wenn es gewünscht wird. Das ist der Grund, warum uns nicht viele Menschen gut leiden mögen: Wir kennen die Zukunft.« Libor legte einen Arm in den Nacken, streckte sich aus und schlug die Beine übereinander. »Aber das Vampirtöten ist das einträglichste Geschäft, wenn man ein Dhampir ist wie ich. Ich bin der Beste in der Gegend, weswegen der Heyduck mich auch gerufen hat.«
»Warum benötigt man dich für so etwas. Könnte nicht jeder mutige Mann einen Pflock durch einen Vampir rammen?«
Libor lachte höhnisch auf. »Vampire, Niemez, sind besondere Wesen. Sie besitzen die unglaublichsten Kräfte. Erstens sind sie allesamt ungeheuer stark und vermögen einen Knochen mit der bloßen Faust zu durchschlagen. Zweitens sind sie schnell wie der Wind, vermögen sich drittens zu verwandeln, um durch die kleinste Ritze in die Zimmer ihrer Opfer zu dringen und ihnen das Blut auszusaugen. Tiergestalten sind ihnen ebenso wenig fremd wie die Unsichtbarkeit oder ein fahles Leuchten in der Nacht.« Er deutete auf seine Brust. »Deshalb benötigen die Menschen Dhampire wie mich. Ich erkenne sogar die Unsichtbaren von ihnen, die sich üblicherweise nur ihrem armem Opfer zeigen.« Libor streichelte den Säbel an seiner Seite. »Das gute Stück ist geweiht und gesegnet, damit es einem Untoten mit einem Schlag das Leben raubt. Ich hatte schon einen Vampir vor mir, der sich in einen Fuchs verwandeln wollte, um mir zu entkommen. Andere mögen es, als Schlange umherzukriechen. Sollten Sie eine schwarze Spinne mit einem roten Mal am Hinterleib sehen, zerquetschen Sie sie. Es ist ein Vampir.«
Viktor schluckte. »Jede Gestalt, sagtest du?«
»
Jede
. Nehme ich an.« Er sah zum Zeltdach, wo sich Kondenswasser gebildet hatte. »Den Türken war es reichlichgleichgültig, was es mit den Vampiren auf sich hat, und sie haben mich gewähren lassen.«
Viktor deutete mit der Feder auf Libors Narbe. »Wie ist das geschehen?«
»Unvorsichtigkeit. Ich bezahlte Lehrgeld, was den Umgang mit Pflock und Hammer angeht.« Er beließ es bei der Andeutung, offenbar sprach er nicht gerne über diese Begebenheit. »Stimmt es, dass die Habsburger eine Kommission beordert haben, welche die Vampire untersuchen soll?«
»Ja. Der erste Medicus ist schon wieder gegangen, aber es wird eine zweite Delegation kommen.«
»Das kann ja was geben«, grummelte der Zingaro verstimmt. »Ich würde ein solches Aufhebens erst gar nicht machen. Wozu die Untersuchung? Jemand muss diese Männer doch bezahlen, wenn sie durch die Gegend reisen.«
Viktor hörte aus den Worten die Sorge des Mannes heraus, dass es mit seinem eigenen Geschäft bald vorüber sein könnte, wenn statt seiner die
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