Kinder des Judas
hatte sich seit der Entdeckung der Leichen erhöht. »Vielleicht wissen die Dörfler mehr darüber. Fragen Sie sie, wenn Sie so darauf versessen sind.« Er schwieg eine Weile. »Hatten Sie nicht erwähnt, dass Sie Türkisch lernen wollten?«
»Ja.«
Er stieß wieder einen Pfiff aus und rief einen Namen, und aus dem Schlitten vor ihnen sprang ein junger Mann, den Viktor auf sechzehn Jahre schätzte. »Das ist Ulai«, stellte ihn Libor vor. »Er hat sich uns vor zwei Jahren angeschlossen, und er verstehtein bisschen Deutsch und kann Türkisch. Gehen Sie mit ihm nach hinten für den Rest der Fahrt, dann kann der Unterricht beginnen.«
Viktor schaute Ulai an, der den Schlitten erklomm und rasch von Libor unterwiesen wurde. »Du hast mir nicht gesagt, dass es noch einen in deiner Sippe gibt, der mich versteht.« Er dachte an die vielen Abende, an denen er es bedauert hatte, sich nicht mit den übrigen Zingaros unterhalten zu können.
»Es war nicht notwendig, Niemez.« Er drückte den Durchgang auf. »Fangt mit dem Lernen an. Je eher, desto besser.«
Ulai nickte und grinste, dann schlüpfte er nach hinten; Viktor folgte ihm.
31. Januar 1732
In der Nähe von Zajecar (serbisches Gebiet)
In den folgenden Tagen fuhren die Wagen der Zingaros viel umher. Die Dörfer der Umgebung waren in heller Aufregung, beinahe überall gab es Vampire zu finden und zu vernichten.
Viktor erkannte jedoch, dass sich unter den zahllosen Leichen, die Libor und seine Sippe ausgruben und in der üblichen Manier behandelten, keine wahren Vampire befanden. Es diente dazu, die Bewohner zu beruhigen und sie glauben zu lassen, dass die Bedrohung vorbei sei.
Libor erklärte ihm, dass es manchmal wirklich einfach nur Krankheiten waren, an denen die Menschen in den Dörfern starben, und nicht das Werk von Vampiren. Viktor wusste, warum: Solange sich damit Geld verdienen ließ, machte es Libor nichts aus, selbst die Ruhe der harmlosen Toten zu stören.
Viktor fand die Vorgehensweise alles andere als rechtens,doch er mischte sich nicht ein. Wer würde ihm sonst derart viel über Vampire beibringen?
Die Unterrichtsstunden mit Ulai schritten gut voran. Es ging Viktor lediglich darum, einigermaßen Türkisch zu verstehen und zu sprechen. Vor der Nachtruhe verbrachte er einige Zeit damit, sich mit allen möglichen Symbolen und Zeichen zur Abwehr zu umgeben, bevor er die Augen schloss und darauf vertraute, die Aufhockerin nicht mehr wiedersehen zu müssen.
Wer ihm stattdessen im Traum erschien, war die Baronin.
Morgens erwachte er mehr als einmal und hatte den Klang ihrer Stimme in den Ohren, als hätte sie sich die Nacht über mit ihm unterhalten. Er sehnte sich sehr nach ihr.
Viktor musste unbedingt nach Belgrad zu D’Adorno, wohin er die weiteren Antwortbriefe seines Professors bestellt hatte. Er war gespannt, welche Reaktionen seine Berichte in der Welt der Gelehrten ausgelöst hatten; doch Libor lehnte es ab, die Stadt zu betreten. Seiner Ansicht nach war sie kein gutes Pflaster für Zingaros. Es war Viktor klar, dass sich ihre Wege früher oder später trennten, und er wusste nicht, ob er den Dhampir jemals wiedersehen würde.
Auch im nächsten Dorf, das sie erreichten, wurden sie bereits ungeduldig erwartet. »Sie haben einen Vampir, der so stark ist, dass er sich am helllichten Tag aus dem Grab befreien will«, rief Libor aufgeregt, als ihm der Dorfälteste laut und schnell die Lage schilderte. »Das wird eine sehr heikle Sache, Niemez. Wir müssen schnell sein.«
Ohne Verzögerung lenkte Libor seinen Schlitten die Straße entlang zum Friedhof, wo er und drei Zingaros mit den üblichen Gerätschaften und unter der Führung des Einheimischen an das Grab eilten; Viktor hinkte ihnen nach.
Als er sich der Ruhestätte näherte, hörte er den Vampir schreien und toben. Es war das erste Mal, dass ihm dieses Phänomen begegnete, denn ansonsten verharrten sie tagsüber rechtapathisch im Sarg und erwarteten ihre Auslöschung. Dieser Vampir bildete eine Ausnahme.
»Hören Sie es, Niemez?« Libor deutete auf die frisch aufgehäufte Erde. »Er ist vor zwei Tagen begraben worden, und seitdem versucht er, sich aus seinem Grab zu befreien.« Die Zingaros gruben sich in die Tiefe und legten die hölzerne Kiste frei.
Das Rufen des Vampirs wurde immer lauter, jetzt lachte er sogar. Die Schläge gegen das Innere wurden rhythmisch, er trampelte auch mit den Füßen.
»Was schreit er denn?«, fragte Viktor.
»Holt mich raus«, übersetzte Libor
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