Kinder des Judas
Unterschiede erklären?«
»Es war offensichtlich, dass es sich bei dem armen Kerl immer noch um einen Menschen handelte«, widersprach er. »Du hast großes Unrecht begangen!«
»Ho, der feine Herr, steht da und schwingt Reden.« Libor sahihn von oben nach unten an. »Nun also zeigen Sie Ihr wahres Gesicht. Sie sind sehr eingebildet, Niemez, und rechthaberisch. Zudem schlecht fürs Geschäft. Ich glaube, ich kann Sie nicht mehr leiden.« Er deutete hinter sich. »Sie wollten ohnehin nach Belgrad. Diese Richtung, Niemez. Zu Fuß wird es Sie ein paar Tage kosten.« Libor ging an ihm vorbei und rempelte ihn absichtlich mit der Schulter an.
Viktor verlor das Gleichgewicht und fiel in den Schnee, schwarze Tinte ergoss sich über seine Aufzeichnungen und seinen Mantel; die Zingaros lachten und folgten ihrem Anführer. »Ich werde den Menschen sagen, was du …«
Libor lachte ihn aus, die Narbe verzog sich dabei. »
Sie?
Was werden Sie denn sagen? In welcher Sprache? Ihr Türkisch verstehen sie nicht, und Deutsch kann niemand.« Er griff in den Schnee und warf damit nach ihm. »Gehen Sie Ihrer Wege, Niemez. Suchen Sie sich einen anderen, der Ihnen die Vampire erklärt. Mit Ihnen habe ich nichts mehr zu schaffen.« Er wandte sich um und schlenderte davon.
Viktor stemmte sich an einem Grabstein in die Höhe, raffte die Papiere zusammen und schüttelte die Tinte ab, so gut es ging und möglichst ohne die Zeilen damit unleserlich zu machen. Zwei Zingaros kehrten derweil zurück ans Grab und legten den abgeschlagenen Kopf zwischen die Beine des Toten, schlossen den Sarg und schippten Erde darauf.
Viktor ging dorthin, wo der Schlitten stand, und daneben lagen seine Sachen sowie ein Sack, die ihm Libor hingeworfen hatte. Keiner aus der Sippe, mit der er mehr als einen Monat verbracht hatte, würdigte ihn eines Blicks; auch die Bewohner des Dorfes hielten Abstand zu ihm.
Weil er nicht wusste, was Libor über ihn gesagt hatte, beschloss er, in dieser Nacht weiterzuwandern. Das nächste Dorf lag nicht allzu weit weg, dort gab es sicherlich eine Herberge.
Er sah den Dhampir auf den Kutschbock steigen. »Das ist alsodie Dankbarkeit der Zingaros?«, sprach er laut. Er war enttäuscht.
»Sie haben mein Leben gerettet, ich habe Ihres vor der Aufhockerin bewahrt. Wir sind quitt, Niemez. Kein Schüler darf sich gegen einen Meister stellen, haben Sie verstanden?« Ohne ein weiteres Wort deutete er auf die Straße.
XIX.
Kapitel
Februar 1732
In der Nähe von Zajecar (serbisches Gebiet)
V iktor hatte die Entfernung falsch eingeschätzt. Auch die Wirkung des Schnees bremste ihn, so dass er erst mitten in der Nacht in dem Dorf ankam.
Weil er nicht annahm, dass ihm jemand um diese Zeit öffnete, ging er zur kleinen Kirche und fand zu seiner Freude die Tür offen. Es war sicherlich nicht bequem, auf harten Holzbänken zu schlafen, doch erstens erfror er nicht, und zweitens kostete es kein Geld. Davon besaß er nämlich keines mehr. Noch ein Grund mehr, unbedingt nach Belgrad zu gelangen und die Münzen in Empfang zu nehmen, die ihm sein Vater hoffentlich gesandt hatte. Er wollte dafür beten.
Er betrat den Innenraum, und wohlige Wärme schlug ihm entgegen, die von den zahlreichen brennenden Kerzen ausging.
Viktor wählte die vorderste Bank aus, weil sie am nächsten zu den Kerzen stand, legte sich darauf und bettete den Kopf auf den Sack, in dem er seine Habseligkeiten transportierte. Er betrachtete die Wand des Altarraums, die über und über mit Ikonen verziert war. Es gab keinen einzigen freien Fleck mehr daran, und die gütigen, dunklen Gesichter, die von Blattgold umgeben waren, flößten Viktor Vertrauen ein. Er fühlte sich geborgen wie seit langem nicht mehr.
Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, da wurde er an der Schulter gerüttelt, und eine dunkle Männerstimme sagte unentwegt »Zingaro«. Als Viktor die Augen öffnete, sah ereinen schwarzgekleideten Popen mit einem kurzen braunen Bart vor sich stehen, hinter ihm warteten drei Männer, die sich mit Mistgabeln bewaffnet hatten.
»Ich bin kein Zingaro!«, sagte Viktor verschlafen und richtete sich auf. »Ich habe nichts mit ihnen zu schaffen.« Ihm wollten die rechten Worte auf Türkisch nicht einfallen, also deutete er auf sich und wiederholte »Niemez«, in der Hoffnung, dass sie begriffen, dass er nicht zu Libors Sippe gehörte.
Der Pope zerrte ihn auf die Beine, und einer der Männer drückte ihm einen Pflock in die Hand, dann schoben sie ihn zum
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