Kinder des Judas
Vermutlich kamen sie kurz nach Irina in meine Mühle. Sie hat die Sicherungsfallen ausgeschaltet und ihnen somit den Eintritt gewährt.« Was gäbe sie dafür, Irina noch einmal in die Finger zu bekommen! »Lass uns nach oben gehen. Es ist bald so weit.«
Viktor lud die Pistole neu. »Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was genau Irina mit ihrem Wissen über die Cognatio anstellen möchte? Ich hatte fast den Eindruck, dass sie Größeres plant«, sagte er, als sie in der Küche standen. Die eisernen Läden waren wie in allen anderen Stockwerken verschlossen, darüber und über der Tür waren Messer angebracht worden. Auf diesem Weg gab es für die Angreifer kein Durchkommen.
»Ich wundere mich ebenso«, gestand Scylla. »Man könnte meinen, dass sie einen Aufstand gegen die Judaskinder plant. Es scheint, als hätte der Abschaum, wie wir sie immer genannt haben, genug von den Verfolgungen.«
Er lachte leise. »Wie sich die Bilder gleichen. Der Pöbel erhebt sich gegen die Herrscher, egal ob bei den Menschen oder den Untoten.«
»Für eine Revolution ist Irina deutlich in der Unterzahl.« Scylla grinste boshaft und sah zur Uhr. Eine halbe Stunde bis Mitternacht. »Aber vielleicht ist sie gewitzt genug, sich draußen zu verbergen und den Ausgang der Schlacht abzuwarten. Dann sieht es sicherlich besser für ihren Aufstand gegen die Judaskinder aus. Es werden heute einige sterben.«
Viktor kam zu ihr und nahm sie in den Arm. »Heute entscheidet sich alles, Geliebte«, sprach er sanft und sah ihr in die Augen. »Du hast keinen Grund, an mir und meinen Gefühlen für dich zu zweifeln. Ich möchte mir dir leben, und mir ist gleich, was für ein Wesen du bist und was du vorher alles getan hast.«
Sie küsste ihn innig. Viktor hatte ihren Verstand und ihr Herzerobert, und selbst nachdem sie ihm die finstersten Kapitel aus ihrem Leben als Judastochter berichtet hatte, die andere Menschen vor Grausen in die Flucht geschlagen hätten, gab er sie nicht auf. Scylla hatte sich damals bei ihrem Zusammentreffen nicht getäuscht: Der Mensch liebte sie. Aufrichtig.
»Welch Geschenk du bist«, flüsterte sie und küsste ihn wieder.
»Du weißt, was du zu tun hast?«
Er nickte und streichelte ihr rotes Haar. »Auf dein Zeichen hin werfe ich die Flaschen aus den Fenstern.«
»Und …?«
»… und werde mich ansonsten zurückhalten«, versprach er seufzend, legte dabei aber die Hand auf den Pistolengriff. Er wollte mehr tun, als Flaschen zu schleudern.
Scylla schüttelte den Kopf. »Bleib bei deiner Furcht, sie nützt dir mehr als Heldenmut. Die Judaskinder sind andere Gegner als eine Tenjac oder ein Umbra oder die anderen Vampire, welche du getötet hast. Steck sie in Brand, überschütte sie mit Säure, aber bleib in der Mühle und lass dich auf keinen Kampf mit ihnen ein, was auch immer sie versuchen!« Darauf drückte sie ihn fest an sich, ihre Lippen trafen voller Leidenschaft aufeinander. Sie schmeckte ihn, und ihr Körper erinnerte sich an die gemeinsame Nacht, die sie verbracht hatten. Wären es andere Umstände gewesen, hätte Scylla dem drängenden Liebesverlangen sofort nachgegeben.
Sie ließ ihn schweren Herzens los und eilte die Mühle hinauf bis zur Plattform; Viktor folgte ihr und schloss nach einem langen Blick in ihre Augen die Luke. Sie hörte das Schaben und wusste, dass sich nun auch dort ein Messer befand. Viktor war sicher vor der Cognatio. Und vor ihr.
Scylla hob den Kopf und blickte zu den Sternen hinauf, dabei ging sie im Kreis. Von allen Seiten flogen Gewitterwolken herbei, in ihnen brodelte es unheilverheißend, und gelegentlich zuckten Blitze nieder.
Sie wusste, wer die Unwetter herbeirief und was geschehen sollte. Die Mühle würde einem solchen Ansturm von Naturgewalten nicht standhalten und in einem Beschuss aus gleißender himmlischer Energie früher oder später vergehen. Die Cognatio beabsichtigte demnach nicht, ein gefährliches Scharmützel zu führen. Die Blitze sollten die Verräterin und den Menschen auslöschen.
Scylla bewunderte, wie rasch die Fronten aus allen Himmelsrichtungen auf den Hügel zueilten, als zöge er sie geradezu an. Starker Wind kam auf und drehte die Flügel schneller und schneller.
Dann sah sie die ersten drei Kutschen, die hintereinander den Weg entlangkamen.
Scylla stellte einen Fuß gegen die Mauer, lehnte sich nach vorne und strengte die Augen an, um die Gefährte besser erkennen zu können. Wen sie wohl schickten?
Eine Böe umschmeichelte sie, gleich
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