Kinder des Judas
und das Rumpeln warnten ihn davor, zu schnell zu fahren.
Erleichtert sah er eine Mühle auf ihrer Seite des Ufers, die ein Wehr besaß. Ohne sich lange umzuschauen, hielt er an, sprang vom Bock und verschloss das Wehr vollständig, indem er das Schleusenrad betätigte. Das Schott bot dem Bach Einhalt und staute ihn in der gewaltigen Vorkammer.
Viktor kehrte zum Gespann zurück. Er fuhr ein Stück weiter, bis er an eine Furt gelangte und sah, dass der Bach mehr und mehr verebbte und schließlich im Kies versickerte. Es dauerte ihm immer noch zu lange.
Die Sonne sank und sank. Aber noch stand sie so, dass sie ihre letzten goldroten Strahlen das Bachbett entlangsandte.
»Jetzt oder nie«, murmelte er, lenkte die Kutsche sofort die Böschung hinunter und peitschte die Pferde an, damit sie ihre Fracht über die losen Steine zogen. Die Kiesel knirschten, tief sanken Hufe und Räder in dem weichen, nassen Untergrund ein, doch es sah so aus, als schafften sie es.
Viktor war aufgestanden, schrie und prügelte, bis ihm der Arm schwer wurde. Ein rascher Blick zur Seite zeigte ihm, dass der Müller die Mühle verlassen hatte und zuerst auf das Wehr, dann in seine Richtung schaute und drohend die Faust schüttelte; er hielt den Fremden zu Recht für den Übeltäter und lief zum Schleusenrad.
In diesem Moment blieb die Kutsche stecken.
»Los! Zieht!«, schrie er die Pferde an und schlug nach ihnen, dass sie blutige Striemen erhielten. Sie keilten aus und warfen sich verzweifelt nach vorne. Es brachte kaum etwas.
Das Gluckern veranlasste Viktor, noch einmal zur Mühle zu sehen. Wasser näherte sich. Noch waren es Rinnsale, die auf den Wagen zuhielten. »Macht schon!«
Das rechte der Pferde versuchte auszubrechen und den Schlägen zu entkommen, es drängte das zweite mit zur Seite. Die Deichsel knarrte bedrohlich – und das Gespann kippte um.
Viktor sprang in den Kies und musste sich zur Seite rollen, um nicht von der umfallenden Kutsche erschlagen zu werden.
»Scylla!« Viktor versuchte, die Tür zu öffnen, aber sie hatte sich durch den Sturz verzogen. Der Sonne schien es besonderen Spaß zu bereiten, ihren Schimmer gnadenlos auf das Bachbett gerichtet zu halten. Selbst wenn sich der Verschlag lockern ließ, konnte Scylla nicht hinaus. Nicht in die direkten Strahlen. Die Aussichten waren nicht gut: im fließenden Wasser vergehen oder von der Sonne vernichtet werden.
Viktor riss bei seinen Bemühungen den Türgriff ab und stürzte in den Kies. Während er noch fiel, vernahm er das Rattern von Kutschrädern sowie das Trommeln von Hufen.
Nein!
Er lag so, dass er das Ufer sah, von dem aus er gekommen war – und seine Augen weiteten sich.
Drei Kutschen schossen das Bachufer entlang, auf den Böcken schwangen die Fahrer gnadenlos die Peitschen, um die schweißnassen Pferde anzutreiben. In wenigen Augenblicken wären sie an der Furt.
Während Viktor sich in die Höhe stemmte, hielt die erste Kutsche an, und schwarze Umrisse sprangen aus dem Inneren, noch bevor sie zum Stehen gekommen war.
Viktor musste sie anstarren und rang mit seiner Furcht. Er stand ihnen allein gegenüber, und
das
würde er keinesfalls überstehen. Er brauchte Scylla.
Vier Umbrae kauerten mittlerweile im Schutz des Baumschattens auf der Böschung und beobachteten ihn, und hinter ihnen hielten die Kutschen an.
Vier Männer und drei Frauen, deren Kleidung und Perücken keinerlei Zweifel aufkommen ließen, um wen es sich handelte, entstiegen ihnen: Die Kinder des Judas hatten sie gefunden!
Wenn er sich richtig an Scyllas Erzählungen entsann, handelte es sich um zwei der Barone und fünf ihrer Elevinnen und Eleven; an ihren Gürteln hingen lange Dolche, die Eleven hatten zusätzlich silberne Beile dabei.
Das Rauschen verstärkte sich. Der Müller hatte die Schleusen ganz geöffnet, um Viktor mit der angestauten Macht des Baches für seine Tat zu bestrafen; rauschend und schäumend quoll das befreite Gewässer durch die Lücke und schwappte heran.
Endlich – endlich versank die Sonne vollständig hinter dem Horizont und hinterließ nichts weiter als schwaches indirektes Licht.
»Scylla!«, schrie er und sprang auf. »Sie sind da!«
Viktor sah, dass sich die Umbrae ebenso in Bewegung setzten wie die Barone und Eleven.
Ein harter Schlag zerschmetterte das Dach der Kutsche, und Scylla kam zum Vorschein »Wo sind …?« Da hörte sie das Wasser, sah die Rinnsale unter sich entlangschießen und kreischte auf.
Sie fürchtete sich derart, dass sie
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