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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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nicht beugen, Schwester! Niemand weiß so gut wie du, dass man dem Blutdurst abschwörenkann. Wer weiß, vielleicht hat sich unser Vater am Ende doch geirrt.«
    Er beharrt nach all den Jahrhunderten immer noch darauf.
    Mit einem Mal fühle ich beinahe Mitleid. Beinahe. »Er hatte mit allem recht, Marek.«
    »Mit
vielem«
, verbessert er unverzüglich und schaut mich an. »Aber mit einer Sache ganz gewiss: mit
dir
.« Seine Arme zucken, er würde mich gerne berühren und weiß, dass ich ihn dafür auf der Stelle niederstechen würde. »Er hat immer gesagt, dass du diejenige bist, die uns allen überlegen ist.«
    Er deutet an mir herab. »Sieh dich im Spiegel an, Scylla. Du hast mehr als dreihundert Jahre kommen und gehen sehen, und du bist kaum gealtert, ohne dass du auf eines der Mittel angewiesen warst. Aber ich wäre ohne meine Elixiere schon zehnmal vergangen und zu Staub geworden.« Er redet schneller, ich spüre seine Aufregung. »Ich bin mir sicher, dass es genau das ist, was Vater wollte: Du sollst die Begründerin einer neuen Cognatio sein!«
    Ich lache ihn aus, so herablassend, wie es mir möglich ist. »Deine Elixiere haben deinen Verstand mehr als beschädigt, Marek.«
    Er wischt meine Bemerkung mit einer Handbewegung zur Seite. »Mit mir an deiner Seite kannst du alles erreichen, was Vater sich immer gewünscht hat«, zeichnet er sein Bild von einer Zukunft, die nicht meine ist. »Was die Kinder des Judas besaßen, soll uns gehören. Wir sind die rechtmäßigen Erben.« Er ballt die Hände zu Fäusten. »Wir sind zurück! Die Upire, der Abschaum, der um die Mühle lauert, muss ausgerottet und die heiligen Orte der Forschung neu belebt werden.« Er versucht meine Hand zu fassen. »Aber das gelingt mir nur mit dir. Du bist die Stärkste von uns.«
    Plötzlich verstehe ich, warum er mir das alles angetan hat. Ich sollte ihn hassen und ihn verfolgen, hierher zur alten Mühle. Nicht um ihn zu töten – sondern um ihm beizustehen!
    Er hat wirklich geglaubt, dass ich mich dazu hinreißen lasse, die alte Lebensweise wieder aufzunehmen und mit ihm eine neue Cognatio zu schaffen.
    »Die Stärkste? Das sah im Kampf vorhin ganz anders aus.«
    An seinem durchdringenden Blick sehe ich, dass er zu erkennen versucht, was hinter meiner Stirn vorgeht und wie weit seine Ansprache zu mir vorgedrungen ist. Dann erhebt er sich, geht durch die Tür in die Scheune und kehrt mit einem gefesselten jungen Mann zurück. Er trägt Straßenkleidung, die ramponiert wirkt, was ich auf den rüden Transport schiebe. Ein Knebel aus silbernem Klebeband liegt über seinem Mund, und die Augen sind vor Todesangst aufgerissen. Ich erkenne ihn wieder: Es ist der junge Mann, der vor wenigen Tagen vor dem Eingang zur Moritzbastei aufgetaucht ist und mich so sehr an Viktor erinnert hat.
    Achtlos wirft Marek ihn auf den Küchenboden und schließt die Tür hinter sich, bevor er auf seinen Platz zurückkehrt.
    »Was soll das?«
    Marek deutet auf ihn. »Ein Opfer, das gebracht werden muss. Dein Opfer. Gelegentlich müssen wir alle trinken, das ist der Fluch, der auf uns liegt. Aber in deinem Fall wird der Fluch dafür sorgen, dass du zu deiner Größe zurückkehrst. Wie in der Arena, in Leipzig.« Er senkt die Stimme. »Du hättest uns damals in diesem Köhlerlager auslöschen können, aber du warst zu schwach.« Er tippte sich gegen die Schläfe. »Dein
Geist
war zu schwach. Gib ihm Blut, und du wirst sehen, dass du danach Kraft besitzt, mit der dich niemand aufhalten kann. Erlaube es, gib dich der schwarzen Stunde hin, um dadurch zu wachsen. Danach tun wir gemeinsam Buße.«
    Ich sehe den jungen Mann an. Wenn ich mich sehr auf ihn konzentriere, höre ich seinen Herzschlag, der laut und schnell aus der Brust dringt. Menschenblut. Sofort rührt sich der alte Hunger. Marek möchte mich schon wieder dazu verleiten, zurMörderin zu werden. »Das alles, damit du die Macht erhältst?«, frage ich ihn, um mich selbst abzulenken. »Du hast mich zu einem Massaker provoziert, mich zu einer gesuchten Mörderin gemacht und mir mein altes Leben genommen.«
    »Nicht
meine
Macht.
Unsere
.« Er nickt. »Es durfte keine Brücke zurück in deine sinnlose Existenz geben, die nichts mehr war als eine Vergeudung, eine Simulation. Du kannst nicht leben wie ein Mensch, und das musste ich dir deutlich zeigen. Ich habe das, was dich erhöht, aus dem Schlaf gerissen und seine Ketten gesprengt.« Er senkt den Blick. »Ich sage nicht, dass es mir leidtut. Es musste sein, und

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