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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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»Vielleicht wollte er sich hier nur vor einem Verfolger verstecken.«
    »Ausgerechnet bei uns? Und wer, meinst du, könnte einen Umbra jagen? Hast du nicht selbst gesagt, dass dies die gefährlichsten Upire sind?«
    »Das sind sie, Tochter. Aber ich glaube nicht, dass dieses Exemplar dir gefährlich geworden wäre.«
    »Und willst du nicht …«
    »Doch, doch. Ich werde mich natürlich auf die Suche nachihm begeben.« Das war das Letzte, was er dazu sagte. Scylla wusste nicht, ob er seiner Behauptung jemals Taten hatte folgen lassen. Sie fand sein Verhalten immer noch merkwürdig. Oder war es möglich, dass ihr Vater mit dem Angriff gerechnet hatte? War es doch nichts anderes als ein Test gewesen?
    Plötzlich vernahm Scylla über das Knarren der Windmühlenflügel hinweg ein lautes, deutliches Schnauben, gefolgt von einem Klirren, wie es Pferdegeschirr verursachte. Sie horchte. Waren die Schimmel aus der Scheune entwischt? Sie ging an die andere Seite der Plattform und sah hinab.
    Rings um die Mühle standen zwölf Kutschen!
    Es handelte sich nicht um einfache Einspänner, mit denen die besseren Leute aus der Gegend umherfuhren, sondern richtige Karossen mit zwei oder sogar vier Pferden davor. Auf den Kutschböcken saßen Männer, mal zwei, mal drei, die stumm und regungslos warteten. Die Tiere verhielten sich ebenso geduldig, scharrten höchstens kurz mit einem Huf im Gras oder schüttelten sich. Niemand bemerkte das neugierige Mädchen.
    Scylla wurde bei dem unerwarteten Anblick von vielen Gefühlen bestürmt, die von Verwunderung über Unbehagen bis Sorge reichten. Nach einem Überfall sah es jedoch nicht aus.
    Sie konnte sich zunächst nicht erklären, warum ihr Vater nichts von dem Besuch gesagt hatte.
Weil ich es nicht wissen soll,
gab sie sich selbst die Antwort und eilte zur Leiter, um nach unten zu steigen. Die unstillbare, drängende Wissbegier trieb sie vorwärts.
    Weder im Arbeitszimmer noch in der Küche gab es einen Hinweis auf die Fremden, also lauschte sie an der Tür zur Scheune. Leise, undeutliche Geräusche erklangen dahinter und lockten sie geradezu, sich heimlich in das Gebäude zu stehlen.
    Kurz zuckte der Gedanke durch ihren Kopf, dass Karol böse mit ihr sein würde, wenn sie man sie entdeckte.
    Andererseits …
    Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit. Heller Lichtschein fiel in die dunkle Küche. Er kam aus dem oberen Stockwerk der Scheune, und auch von dort erklangen Stimmen.
    Scylla wunderte sich. Bei ihren seltenen Besuchen in der Scheune hatte sie dort nichts Außergewöhnliches bemerkt. Was konnten die Männer und Frauen, denen die vornehmen Kutschen gehörten, ausgerechnet dort oben suchen?
    Leise schob sich Scylla durch den Türschlitz und eilte in den hinteren Bereich, wo die Schimmel standen. Vom Rand des Trogs kletterte sie durch die Futterklappe in die Zwischenetage, die der Aufbewahrung des Heus diente, und arbeitete sich im Schatten der Stützstreben zum zweiten Geschoss vor.
    Scylla presste sich an einen Pfeiler – und staunte.
    Die Scheune war nicht wiederzuerkennen! Wie hätte sie ahnen können, dass sich unter dem Dach ein so gewaltiger Raum befand, der es mit den märchenhaften Beschreibungen von Ballsälen aufnehmen konnte, in denen Fürsten und Könige tafelten oder rauschende Feste feierten?
    Männer und Frauen in ganz unterschiedlicher Kleidung saßen an der eindrucksvollen Tafel, sechs an jeder langen Seite. Am Kopfende thronte, mit dem Rücken zu Scylla, ein einzelner Mann. Ihnen allen sah man ihren Reichtum deutlich an: Der Schmuck an ihren Fingern und Hälsen war beeindruckend. In manchen Fällen machte die Garderobe der eines Königs Konkurrenz; selbst ihr Vater, den sie seit Jahren nur in einfacher Kleidung gesehen hatte und der sich auch heute im Vergleich zu den Gästen deutlich zurückhielt, war kaum wiederzuerkennen.
    Scyllas Blicke wurden von dem dunklen Kleid einer Frau angezogen, auf dem sich das Licht an der Schulterpartie und am Dekolleté funkelnd brach. Was sie zuerst für Spiegelsplitter gehalten hatte, erkannte sie schließlich als Diamanten! Es mussten Hunderte sein, die ihrer Trägerin einen überirdischen Glanzverliehen und auf jede noch so kleine Bewegung mit neuem Glitzern reagierten.
    Diesem Kleid machte ein hellgrauer Gehrock Konkurrenz, auf dem fantasievolle Muster mit schwarzem Garn eingestickt waren; dort, wo sich die Linien berührten, saßen dunkelrote, fingernagelgroße Karfunkel, die wie roter Bernstein funkelten – aber auch an

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