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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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schlagen die Flammen hoch. Qualm dringt brodelnd an die Oberfläche und zieht als giftiger Nebel über den Weiher. Der Anblick erinnert mich an alte Wikinger-Begräbnisse, bei denen man die Toten auf brennende Schiffe geladen und sie hinaus aufs Meer gesandt hat.
    »Hey, Sie da hinten!«, reißt mich eine entsetzte Stimme aus meiner stillen Andacht. Ein Mann nähert sich; ein Stück hinter ihm kann ich eine Frau in ihr Handy sprechen sehen. Es ist Zeit zu gehen.
     
    Mit Tränen in den Augen rase ich wenige Augenblicke später davon, stürze auf dem Schnee beinahe mit der Hayabusa und kann sie im letzten Moment noch abfangen. Sobald ich auf dem Asphalt angelangt bin, gebe ich Vollgas. In der Nähe der Messehalle biege ich ab, halte in einer Seitenstraße an und setze mich ins nächstbeste Café. Aus der Sturmhaube ist längst wieder eine Mütze geworden. Ich brauche dringend einen Kaffee, einen Martini und meinen PDA.
    Das Signal von Lobitsch ist erloschen, wie es sich gehört. Mit ein paar Klicks öffne ich meine Liste.
    Hendrik Lobitsch, 47 Jahre
.
    Die Gefühle überwältigen mich. Tränen schießen mir in dieAugen und rauben mir die Sicht; ich lasse es zu, dass sie über mein Gesicht rollen. Es tut mir so leid, doch ich habe es tun müssen. Es gab keinen anderen Weg.
    Halbblind verschiebe ich seinen Namen nach unten, dorthin, wo die Toten mich an meine Schuld erinnern. Die Liste ist lang, so unendlich lang.
    Doch über ihr stehen immer noch drei Namen.
     
    Sarah Ulmann, 73 Jahre
    Emma Karkow, 25 Jahre
    Elena Karkow, vier Jahre

VII.
Kapitel
    31. Dezember 1675
Osmanisches Tributland
     
    S eit dem Abend, an dem Scylla heimlich die Zusammenkunft der Cognatio verfolgt hatte, verlief alles in ihrem Leben anders.
    Karol gewährte ihr keine Ruhe mehr. Hatte er sie früher noch lachend ins Bett gescheucht, wenn er merkte, wie ihr die Augen schwer wurden, bestand er nun darauf, dass sie bis zur vollkommenen Erschöpfung in den Laboratorien und der Bibliothek arbeitete. Die ohnehin seltenen Ausflüge, die sie gemeinsam in den Wald unternommen hatten, gab es nicht mehr.
    Anfangs machte es Scylla nichts aus. Neben dem strengen Lernpensum, das Karol ihr aufbürdete, setzte sie die Versuche mit dem Blut der Upirina fort und bemerkte durch einen Zufall, dass das Blut vor der Sonne zurückwich: Als sie mit ihrer beschmutzten Schürze auf die Plattform des Turms stieg, um wenigstens für kurze Zeit dem Geruch des Labors zu entkommen und etwas Tageslicht zu sehen, verhielten die Flecken auf der Schürze sich schlüpfrig wie Quecksilber und sprangen geradezu in die Schatten und Falten zurück. Als sie versuchsweise eine Probe in einem Glasröhrchen nach draußen trug, verdampfte sie auf der Stelle in der Sonne. Begeistert notierte Scylla dies und vergaß über die Begeisterung fast, dass Karol sie streng zurechtweisen würde, weil sie sich ohne seine Erlaubnis von ihrem Bücherstudium entfernt hatte.
    Als der Sommer sich schließlich dem Ende zuneigte, wurde ihr bewusst, dass sie inzwischen nichts anderes mehr war alseine Gefangene. In den Jahren zuvor hatte es ihr nichts ausgemacht, die Mühle nur selten verlassen zu dürfen und nahezu ununterbrochen zu lernen – doch inzwischen hatte Karol auch noch die letzten kleinen Ablenkungen gestrichen. Er behandelte die Kranken aus den umliegenden Dörfern ohne ihre Hilfe. Wenn er sich mehr als ein paar Schritte vom Turm entfernte, sperrte er die Türen ab. Auf die Plattform durfte Scylla nur noch einmal am Tag und unter seiner Aufsicht, nachdem sie Giure von dort oben eine Zeichnung hinabgeworfen hatte. Sogar die Fernrohre sperrte er weg.
    Scylla wusste, dass seine veränderte Haltung mit dem Ratschlag der Baronin zusammenhing. Doch auch, wenn sie sich lange in ihr Schicksal gefügt hatte, konnte sie nun nicht länger Gleichmut vortäuschen. Nach einem besonders heftigen Streit trotzte Scylla ihrem Vater schließlich die Erlaubnis ab, ein paar freie Momente auf dem Dach der Mühle verbringen zu dürfen. Die heimliche Hoffnung, Giure zu sehen, starb in dem Moment, als sie an einem Wintertag zum ersten Mal seit Wochen wieder ins Freie trat.
    Ein eisiger Wind pfiff um den Turm. Er trug Schnee mit sich und türmte die Flocken kniehoch auf alles, was nicht in der Lage war, die Last abzuschütteln. Nur die Flügel der Mühle drehten sich schnell, auf ihnen blieb nichts haften.
    Scylla stand auf der Plattform, eingepackt in zwei dicke Mäntel, und betrachtete den Wald, der ebenso unter dem

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