Kinder des Judas
aufhält. Ich habe nicht einmal mitbekommen, wie er den Riemen um meinen Hals gelöst hat. An meinem rechten Handgelenk baumelt eine Handschelle. Wer weiß, was er noch alles in seiner Jacke versteckt?
Das Geschrei des Publikums höre ich nur noch gedämpft. Das vielfache Stechen des Drahts wirkt belebend auf mich, der Schmerz aktiviert meine Sinne wieder, dennoch breche ich in die Knie, nachdem ich einen schnellen Schritt nach vorne gemacht habe – und sehe Madman auf mich zuspringen. Er hat zu einem Flugtritt angesetzt, wie die Kämpfer aus den Ninja-Filmen.
Ich weiche dem Fuß aus und möchte ihm mit einem Ellenbogenschlag seitlich gegen den Hals auf die Bretter schicken, doch er ändert im Flug die Richtung! Lediglich meine schnellenReflexe bewahren mich davor, einen Sohlenabdruck auf mein Gesicht zu bekommen. Knapp segelt er über mich hinweg, sein Kick gegen die Schulter wirft mich gegen den Eckpfosten.
Madman landet hinter mir, neben der Stacheldrahtabsperrung, und schon holt er mit seinen Peitschenärmeln erneut aus. Seine Geschwindigkeit ist meiner ebenbürtig. Das dürfte eigentlich nicht sein.
Es sei denn …
Sirrend fliegen die Schnallen auf mich zu, doch dieses Mal bin ich vorbereitet. Ich fange beide und ziehe daran, um den Spieß umzudrehen und ihn in meine Attacke zu zwingen, doch da kommt nur die leere Zwangsjacke auf mich zu.
Da ich mich zu sehr darauf verlassen habe, ihn mit einem Tritt zu begrüßen, kann er mich seitlich umrunden. Ich wehre seinen Schlag ab, spüre eine Berührung am Handgelenk, wo er mir die Handschelle verpasst hat, es klickt. Gleich darauf kann ich meinen Arm nicht mehr bewegen: Madman hat mich an die Eisenkarabinerhaken der Drahthalterung gefesselt.
Er kichert und steht mit freiem Oberkörper in der Mitte des Rings. Er ist weder gepierct noch tätowiert, aber dafür ziehen sich unendlich viele OP-Narben über seinen Leib.
Ich runzle die Stirn.
Die Linien sehen mehr nach den Spuren einer Obduktion aus – und dann sehe ich, dass die Fäden noch immer im Fleisch stecken! Das Licht macht sie noch dunkler.
Das Publikum kreischt vor Begeisterung. Die großen Monitore zeigen das, was die Menge für Körperschmuck hält, in Nahaufnahme, aus den Schnitten rinnt sogar etwas Blut.
Das
ist keine Show.
Ich werfe die Jacke zu Boden und betrachte ihn. »Wer bist du?«
»Madman«, antwortet er glucksend und zupft an einer Naht auf der Brust. »Madman.« Er zieht den Faden wie eine Reißleineab – und die zerteilte Haut klafft wie ein schlaffer Vorhang auseinander. Darunter sehe ich gebrochene Knochen und Innereien, die mit verschmiertem Tape an Ort und Stelle gehalten werden.
Die blutgeile Menschenmasse tobt noch mehr! Aus ihrer Sicht kann es sich nur um einen Spezialeffekt handeln, denn kein lebendiger Mensch übersteht eine solche Verletzung. Und diesen Anblick scheinen sie zu mögen.
Madman sagt etwas zu mir, doch wegen der immensen Lautstärke, die das schreiende Publikum produziert, verstehe ich ihn kaum. Das Trommeln gegen die Plexiglaswände dröhnt lauter. Dann grinst er und dreht mir den Rücken zu. Die Scheinwerfer beleuchten die eingeritzte Schrift auf seinen Schulterblättern:
Labe dich an ihnen, Schwester
.
Mir wird klar,
wer
mir diesen Gegner gesandt und die Wette abgeschlossen hat.
Bevor ich mich von meiner Fessel befreien kann, wirbelt Madman herum und hält eine kleine blutige Schnellfeuerpistole in der Hand. Er muss sie aus dem offenen Bauchraum gepult haben, das perfekte Versteck für einen Untoten. Er betätigt den Abzug mehrmals hintereinander.
Ich weiche den heranschießenden Kugeln aus. Ein Projektil möchte ich beim besten Willen nicht in meinen Schädel bekommen.
Noch in der Bewegung sehe ich, dass er gar nicht auf mich gezielt hat. Die Geschosse krachen gegen die Plexiglaswand, einige prallen davon ab, andere durchdringen sie; das Publikum begehrt gegen diesen schmerzhaften Einbezug auf, indem ein lautes Rufen durch seine Reihen geht.
Das Licht wechselt auf grünliche Notbeleuchtung und macht die Zuschauer als Umrisse sichtbar. Damit ist der letzte Schutz gefallen, jeder ist erkennbar und damit eine Zielscheibe.
Madman springt lachend aus dem Ring, wirft sich gegen dieAbsperrung und durchbricht sie. Plexiglasstücke bersten splitternd, fliegen in die Menge, hervorstehende Kanten reißen Madman die Haut auf, doch er steht auf der anderen Seite vor der ersten Reihe; unterwegs hat er eine zweite bluttriefende Schnellfeuerpistole gezogen.
Er
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