Kinder des Judas
hereingesprungen, die Riemen an den zu langen Ärmeln schnellen wie Peitschen durch die Luft und knallen sogar leise. Eine raffinierte Methode, sich eigene Waffen mitzubringen.
Madman stößt sich ab und landet mit einer sehr gekonnten Flugrolle im Ring. Er hat eine stoppelige Glatze und erinnert mich wirklich frappant an die Insassen von Heilanstalten, wie sie anfangs des 20. Jahrhunderts noch betrieben wurden.
»Here are the enemies«,
ruft die Lautsprecherstimme enthusiastisch in die Halle.
»Please welcome our newbie: the Madman!«
Die Menge klatscht ausgelassen, was mir wieder zeigt, dass es nicht gut ist, stets zu siegen. Auch Niederlagen machen sympathisch.
»Nein, Tanja«, sage ich bedächtig. »Eine Göttin macht keinen Rückzieher. Aber ich werde nach dem Kampf jemandem einen Besuch abstatten.«
Ich betrachte den Feind. Wenn er sich im Kampf einigermaßen gut anstellt und nett zu mir ist, wäre es vielleicht so weit, mich von einem Typen auf die Ringbretter legen zu lassen. Verlieren für meine Quote und mehr Sympathie – doch angesichts der Millionen, die gegen mich gewettet wurden, regt sich mein Ehrgeiz. Es wird mir Spaß bereiten, demjenigen den Verlust seines Lebens zu bescheren. »Tja, Madman«, raune ich, »sieht schlecht für dich aus, würde ich meinen.«
Er bewegt sich ruckartig, bleibt für zwei oder drei Sekunden regungslos, bevor er hüpft und Überschläge macht; leise sirrend zischen die Leinen seiner Jacke an mir vorbei. Er setzt sich.
Ein Blick in die Augen von Madman genügt mir, und ich erkenne sehr genau, dass dieser Gegner wahrhaftig verrückt ist! Die rostfarbenen Scheinwerfer tun ihr Übriges dazu. Er schaut durch mich hindurch, fixiert einen Punkt hinter meinem Rücken, während er wie ein Besoffener tänzelt und kichert.
Ich bewege mein Bein und spüre den Dolch. Etwas ist anders an Madman. Es gibt mehr als den Wahnsinn in ihm.
»
Will he destroy our champion?«,
fragt die Off-Stimme, und leise Buhrufe erklingen; unmittelbar danach erschallt das Signal, und der Kampf ist freigegeben.
Ich gehe die Sache langsam an, umkreise Madman, der regungslos am Boden sitzt und auf mich wie ein kleines Kind wirkt, das gerade die Windel mit Inhalt füllt. Er beachtet mich nicht, verhält sich absolut passiv; weil das Licht von oben auf ihn fällt, liegen lange Schatten auf seinem Gesicht. Würde es mir etwas ausmachen, würde ich sagen: unheimlich.
Seine Absicht liegt auf der Hand: Er will mich dazu reizen, den ersten Schritt zu tun. »So nicht«, sage ich zu mir selbst und bleibe vor ihm stehen. Dann verschränke ich die Arme vor der Brust. Auch ich kann warten.
Die ersten Pfiffe gellen los, es werden Plastikbecher aus der Dunkelheit nach uns geworfen, die an den Plexiglaswänden abprallen. Das Publikum will endlich die ersten Schnitte und Tackerverletzungen sehen. Verdammter Zirkus.
»Was ist los, Madman?«, frage ich ihn. »Keine Lust?«
Er senkt die Lider, summt ein Lied und pendelt mit dem Oberkörper nach rechts und links, dann stützt er die Hände auf den Boden und schwingt sich – einem Bodenturner nicht unähnlich – in den Handstand. Er verlagert sein Gewicht etwas und balanciert sich auf einem Arm aus. Noch immer hält er es nicht für nötig, mich anzuschauen.
Ich bin mir sicher, dass es die merkwürdigste Show ist, die einer meiner Gegner jemals abgezogen hat. Leider honoriertdas Publikum seine Körperbeherrschung nicht so, wie es sich gebührt, aber mich hat er jedenfalls beeindruckt.
Um seine Vorstellung zu toppen, beugt er seinen Stützarm so weit, bis er mit der Nasenspitze den dreckigen Ringboden berührt, zieht gleichzeitig die Beine an. Dann stößt er sich ab, schnellt wie eine gespannte Feder auseinander. Er entlädt die Spannung in seinem Körper und schleudert sich in die Luft. Den Schwung nutzt er, um sich um die eigene Achse zu drehen … und mit den Armen nach mir zu schlagen!
Madman hat mich wirklich überrascht. Die langen Schnallenenden treffen mich, eine erwischt meine Stirn und hinterlässt unter der Maske eine Platzwunde, die andere Schnalle fliegt seitlich heran und wickelt den Riemen zweimal um meinen Hals. Er zieht mich ruckartig zu sich, gleichzeitig lässt er einen Tritt gegen meinen Solarplexus folgen.
Der Mann weiß, wie man treten muss, um jemandem wehzutun. Mir schießt die Luft aus den Lungen, mein Nervensystem schaltet für drei Sekunden ab, und ich fliege rückwärts durch den Ring, bevor mich die Stacheldrahtabsperrung schmerzhaft
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