Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
Vom Netzwerk:
drückt die Abzüge unglaublich schnell, das metallische
Blamm
, das bei jedem Schuss zu hören ist, wird zu einem einzigen Geräusch. Zuerst erwischt es die herbeieilenden Sicherheitsleute, danach fliegen die Geschosse quer durch die Halle. Wahllos.
    Aus den Begeisterungsstürmen sind kollektive Entsetzensschreie geworden. Die Ersten haben begriffen, was sich ereignet hat, und ducken sich bereits hinter ihrem Vordermann zusammen oder werfen sich auf den Boden, um nicht getroffen zu werden; es riecht nach Blut.
    Ich bemühe mich, den verlockenden Duft nicht wahrzunehmen, der mit jedem meiner Atemzüge intensiver, satter und metallischer wird.
    Die Gier – lange unterdrückt, beherrscht und zurückgedrängt – regt sich in mir. Die Enthaltsamkeit rächt sich, ähnlich wie bei einem Drogenjunkie oder einem Alkoholiker, dem man ein Jahresabo für Stoff oder eine besonders große Pulle anbietet. Gelegentlich habe ich genascht, ein rasches Lecken über die Wunde eines Gegners, mehr nicht. Es war kontrollierbar, nur für den Geschmack und die Erinnerung.
    Das, was Madman anrichtet, besitzt andere Qualitäten. Andere Quantitäten.
    Der Kampf mit dem Trieb nimmt mich in Anspruch. Ich ringe ihn nieder, schon allein um Marek nicht siegen zu lassen, und erstarre. Bewegungslos, wie in Trance sehe ich mit an, wie Madman die leergeschossenen Pistolen wegwirft und zwischen die Männer und Frauen des Neureichen-Blocks springt. Das grüne Licht macht die Ereignisse noch unwirklicher, als sie esohnehin schon sind. Er schnappt sich das It-Girl, seine Finger bohren sich brutal in die rechte Schulter, und das Mädchen schreit.
    Ihr Begleiter fällt ihm in den Arm und will ihn dazu bringen, von ihr abzulassen. Madman greift ihm mit der anderen Hand ins Gesicht und ballt sie zu einer Faust. Ganze Streifen Haut löst er dabei ab, der Daumen fährt durch die Augenhöhle. Er hat dem Mann schreckliche Wunden zugefügt und die Nase abgerissen. Schreiend und blutüberströmt fällt das Opfer nach hinten in die nächste Sitzreihe. Niemand fängt ihn auf, alle weichen zurück und wollen weg von dem Irren.
    Noch mehr des süßen Geruchs brandet in meine Nase, beschwört Bilder herauf aus den Zeiten, in denen ich mich ebenso gebärdet habe wie Madman.
Es darf nicht sein, es darf nicht sein!
, sage ich mir unentwegt. Erst, wenn ich mir sicher bin, dass wir nicht gemeinsam über die Menschen herfallen, werde ich meine Handschelle lösen. Vorher wäre ich alles andere als eine Retterin.
    Madman zieht das Mädchen zu sich, ohne sich an den Schlägen zu stören, mit denen es ihn eindeckt. Die roten Finger langen nach ihrer Stirn und schieben sie nach hinten, dann beißt er in den zurückgebogenen Hals und reißt einen Brocken heraus. Sein geöffneter Mund reckt sich nach dem spritzenden Blut, als sei es ein Trinkbrunnen. Er lacht, wirft die junge Frau zwischen die Stuhlreihen und springt den flüchtenden Menschen hinterher.
    Er zerbeißt die zarten Hälse der schick angezogenen Frauen und zerschmettert die Gesichter ihrer Begleiter mit brutalen Schlägen, während sich seine Nähte weiter auflösen. Die Haut schält sich von ihm, es sieht aus, als würde ein alter, mit roter Farbe beschmierter Mantel auseinanderfallen.
    Ich darf nicht länger warten!
    Mit meiner freien Faust schlage ich mir selbst gegen die Nase,Blut schießt heraus, und ich habe Tränen in den Augen. Aber der Geruch meines eigenen Blutes überdeckt den fremden, und die Gier ist einfacher zu bekämpfen.
    Ich reiße die Verankerung des Drahts aus dem Pfosten. Ich springe über Verletzte und Sterbende hinweg, rutsche in dem Blutstrom auf dem Boden aus und versuche, mich davon nicht ablenken zu lassen. Madman ist keiner von uns, sondern ein gewöhnlicher Vampir, ein Upir, der Bodensatz, wie einige ihn immer genannt haben. Was will Marek erreichen, indem er eines von den Monstren auf Unschuldige loslässt?
    Das grüne Blinken der Webcams ist nach wie vor zu sehen. Die Zentrale lässt die Übertragung weiterlaufen, und ich schätze, dass die Einschaltquoten in den letzten zwanzig Sekunden in die Höhe geschnellt sind.
    Der Spuk muss rasch enden. Ich gebe meine Zurückhaltung endgültig auf und überbrücke die Distanz zu Madman mit enormen Sprüngen, dabei ziehe ich meinen Dolch aus dem Stiefelschaft. Die schwarzmarmorierte Damaszenerklinge wird keine Schwierigkeiten haben, dem Vampir das Leben zu nehmen.
    Ich lande zwei Meter neben ihm, packe einen Stuhl und schleudere ihn nach Madman, der

Weitere Kostenlose Bücher