Kinder des Judas
flüsterte sie und zeigte mit einer Augenbewegung auf ihn.
»Ein Eleve«, antwortete er. »Kümmere dich nicht um ihn.«
»Ist er derjenige, der mich damals verfolgte, als die Türken …«
»Still jetzt«, unterbrach er sie leise. »Der Mann ist kein Upir, und jetzt achte auf das, was geschieht.«
Der Mann, der Ischariot genannt wurde und am Kopf der Tafel saß, erhob sich von seinem Stuhl und winkte Karol und seine Tochter zu sich.
»Ich wünsche dir den Beistand des Herrn«, flüsterte Karol Scylla zu und gab ihr einen sanften Schubs, um sie in Bewegung zu setzen. Erst dann verneigte er sich, begab sich gemessenen Schrittes an seinen Platz und setzte sich.
Scylla ging auf den Ischariot zu und machte einen höfischen Knicks vor ihm, wie es ihr Vater ihr gezeigt hatte.
Er trug einen langen, hellgrauen Rock mit schwarzen Stickereien, die Hände steckten in weißen Handschuhen, die Finger waren mit Ringen geschmückt. Er roch nach Lavendel und Zitrone, in dem bartlosen Gesicht stand ein Lächeln eingemeißelt. Die Haut war mit Puder künstlich weiß gefärbt worden, ein schwarzer Schönheitsfleck auf der rechten Wange diente als Blickfang.
»Eure Elevin weiß sich zu benehmen, Baron«, sagte er mit heller, sich überschlagender Stimme. »Das ist doch ein guter Beginn.« Er nickte ihr freundlich zu, und die Perücke, die einem Nest nachempfunden war, wippte leicht. »Ich bin der Ischariot, und das«, er machte eine umfassende, ausholende Bewegung über die Tafel hinweg, »ist die Cognatio, die Vereinigung der Weisheit. Dein Vater hat uns über dich auf dem Laufenden gehalten, und wir entscheiden zum krönenden Abschluss des Abends über dein weiteres Schicksal, reizende Scylla.«
Sie spürte die Blicke der Versammlung auf sich, ihr wurde auf einen Schlag heiß. »Ich bin es nicht gewohnt, im Mittelpunkt von so vielen Menschen zu stehen«, sprach sie, um ihre Lage zu erklären.
»Uns erging es allen ebenso wie dir, bezauberndes Kind«, sagte die Frau, die damals mit ihrem Vater heimlich an ihr Bett getreten war und sich über sie gebeugt hatte: Lydia Metunova. Scylla hatte das Gesicht niemals mehr vergessen. Diese Frau war der Grund dafür, weshalb ihr Vater sie tagaus, tagein wie eine Verbrecherin einsperrte.
»Es ist wichtig, dass sie weiß, wie bedeutend dieser Abend fürihr Leben ist«, setzte Carzic sofort nach, der sich sichtlich über die wohlwollenden Worte ärgerte.
Scylla schluckte und bemerkte, wie Karol die Zähne zusammenbiss. Er sah ihre Unsicherheit und durfte dennoch nicht sprechen. Es war das Gesetz der Cognatio, dass sich der Mentor nicht zu Wort meldete. Nicht bevor die Abstimmung zu Ende gegangen war.
Der Ischariot hob die Hand. »Beruhigt Euch, meine Freunde. Eure Meinung möchte ich gleich hören, sobald uns alle Geheimnisse enthüllt worden sind.« Auf seinen Wink hin brachte ein Eleve einen Schemel und stellte ihn vor den Tisch, der Ischariot zeigte darauf. »Wir sind im Begriff, dich zu erhöhen, Scylla, und aus einer gebildeten jungen Frau eine Elevin zu machen, mit allen Rechten und Pflichten. Als Zeichen dafür steige hinauf auf den Tisch, damit wir dich von allen Seiten betrachten können und uns kein Makel an dir verborgen bleiben soll. Sofern es einen gibt. Stell dich unseren kundigen Augen, wie es die Zeremonie verlangt.«
Scylla blickte zu ihrem Vater und sah danach wiederum den Ischariot an. Die vielen Menschen wirkten sich schlimmer aus, als sie sich ausgemalt hatte, eine Lähmung kroch in sie. Sie wollte nur zu gerne tun, was man verlangte, doch …
Da lachte Carzic auf. »Sie scheint bei allem Wissen doch schwer von Begriff, will ich meinen!«, rief er lachend in die Runde, und einige der Männer und Frauen stimmten in die Heiterkeit ein.
Scylla errötete, ihr wurde noch heißer. Sie wurde Opfer von Spott, den sie nicht verdient hatte. Wütend starrte sie den Mann an, der mit seiner Bemerkung zum Auslöser geworden war, während sie gleichzeitig auf die Tafel kletterte.
»Nun geh bis zur Mitte. Wir beginnen mit der Befragung, die sich mit deiner Forschung und deinem allgemeinen Wissen beschäftigt«, teilte der Ischariot ihr mit. »Ich beginne und erwarteeine schnelle, präzise Antwort: Wie verhalten sich rote Blutplättchen bei übermäßiger Hitze, welche Wissenschaftler haben sie erforscht, und zu welchen Erkenntnissen sind sie gelangt?«
Scylla entspannte sich. Auf diesem Feld war sie Meisterin, und als sie eben den Mund öffnete, hob Carzic die Hand.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher