Kinder des Wassermanns
das.“
Der Liri-König schüttelte den Kopf. „Wann? Ich habe erfahren, daß er vielbeschäftigt ist, im Reich herumreist, vielleicht Wochen hintereinander abwesend ist. Inzwischen ist jeder Tag für meine Leute eine stille Qual. Euer Baron glaubt vielleicht, daß er sie gut ernährt, aber mein eigener Magen sagt mir, daß die Nahrung aus zuviel Getreide und Milch und aus nicht genügend Fisch besteht. Sie werden krank werden – auch aus Mangel an Wasser. Zweifellos bekommen sie reichlich zu trinken, aber wann konnten sie das letzte Mal schwimmen, wann waren sie das letzte Mal auf dem Meeresgrund, eine Lebensweise, für die die Natur sie geschaffen hat? Ihr habt mir erlaubt, mich in dem Bach hier zu erfrischen, und trotzdem fühle ich, wie mein Fleisch langsam austrocknet.“
Tomislav nickte. „Ich weiß, Vanimen, mein Freund. Und was ich nicht weiß, kann ich erraten. Aber was können wir tun?“
„Ich habe darüber nachgedacht“, sagte der Wassermann, lebhafter als zuvor. „Ein kurzes Stück von hier entfernt ist ein See. Laßt uns dort frei. Natürlich zu einer bestimmten Zeit immer nur einen Teil von uns; die übrigen bleiben als Geiseln da und warten, bis sie an die Reihe kommen. Der See ist nicht so gut wie das Meer, aber er wird uns erhalten, er wird uns von einem Leben erlösen, das halber Tod ist.
Außerdem habe ich gehört, daß niemand in dem See fischt. Wir könnten und würden es tun. Wir würden gemeinsam ausschwärmen und reiche Beute machen und sie mit euch Menschen teilen. Damit wären die Kosten für unsere Unterhaltung mehr als wettgemacht. Würde das Eurem Baron nicht gefallen?“
Tomislav runzelte die Stirn. „Vielleicht, wenn der See nicht verflucht wäre.“
„Wie das?“
„Ein Vodianoi lauert dort, ein Wasserungeheuer. Er raubte die Netze aus, die die Fischer legten. Als sie ihn mit Booten voller Bewaffneter jagten, konnten ihre Waffen ihn nicht verwunden. Die Boote kenterten, und tapfere Burschen, die nicht schwimmen konnten, ertranken. Einmal wollten die Leute hier eine Mühle errichten, damit sie mit ihrem Korn nicht bis nach Skradin mußten. Als die Mühle beinahe fertig war, kam der Vodianoi flußaufwärts und wälzte sich im Mühlenteich. So groß war das Entsetzen, daß die Leute zerstörten, was sie erbaut hatten, damit er nur ja in den See zurückkehrte.“
Vanimen zwang sich zu der Frage: „Warum hat ihn kein Priester wie Ihr gebannt?“
„Das wollte das Volk nicht haben. Kirche und Adel halten es für das beste, auf seine Wünsche Rücksicht zu nehmen. Ein Exorzismus würde alle Wesen der Halbwelt aus dieser Gegend vertreiben, und von einigen glaubt man, daß sie Glück bringen. Da ist es noch besser, den See nicht nutzen zu können und manchmal im Urwald von den Leschi einen Schabernack gespielt zu bekommen, als keinen Polevik mehr zu haben, der die Ernte vor Mehltau bewahrt, keinen Domovoi als Hausgeist, der über das Wohl der Bewohner wacht, keine Kikimora, die die Laune anwandeln mag, einer Frau zu helfen, die unter ihrer Arbeitslast zusammenbricht …“ Tomislav seufzte. „Das ist heidnisch, ja, aber harmlos. Es berührt den wahren Glauben der Leute nicht und hilft ihnen, ein Leben zu ertragen, das oft voller Kummer und Sorge ist. Die Bogomils haben überall, wo ihre Sekte die Vorherrschaft hat, mit diesen alten Bräuchen aufgeräumt. Aber die Bogomils sind ohne Freude, sie hassen diese Welt, die Gott für uns so schön gemacht hat.“
Nach einem oder zwei Atemzügen setzte Tomislav beinahe flüsternd hinzu: „Ja, was im Wasser und im wilden Wald spukt, kann auch schön sein …“
Vanimen hörte es kaum. Er sprang auf die Füße und hob eine Faust gegen den Abendstern, und die Worte sprudelten aus ihm hervor.
„Aber das ist ja etwas, wobei wir euch helfen können, wir Meerleute! Eine Gelegenheit, unsern guten Willen zu beweisen! Ich selbst will die Gruppe anführen, die das Ungeheuer vertreiben wird!“
2
Es lebte ein Mann in Hadsund, genannt Aksel Hedebo, ein wohlhabender Mann. Er handelte mit Pferden, die ein dänischer Exportartikel waren. Ingeborg hatte oft bei ihm gelegen. Doch es war eine Überraschung, als sie in seinem Geschäft erschien, begleitet von einem geradeaus blickenden jungen Burschen, und um eine vertrauliche Unterredung bat. „Wir möchten Euch um einen Gefallen bitten“, sagte sie, „und um Euer Wohlwollen zu gewinnen, würden wir Euch ein kleines Geschenk machen.“
Sie öffnete die Hand ein wenig, so daß seine
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