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Kinder

Kinder

Titel: Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seibold
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recht, was er
tun sollte, dann fasste er Sarah fest an den Handgelenken und redete auf sie
ein.
    »Sie sind weg«, versuchte Rainer seine Tochter zu beruhigen.
    Schließlich wandte Sarah das Gesicht wieder ihrem Vater zu. Sie
wimmerte noch immer, gewann aber allmählich wieder die Fassung. Rainer Pietsch
half ihr halb hoch, bis sie sich in seine Arme fallen lassen und hemmungslos
schluchzen konnte, von ihrem Vater geborgen wie früher, als sie noch ein
kleines Kind gewesen war.
    »Hallo?« Die Frauenstimme kam vom Gehweg her.»Ist alles in Ordnung?«
    »Ja«, rief Rainer Pietsch, »jetzt ist alles in Ordnung. Wir kommen
gleich raus, bleiben Sie bitte kurz?« Er ließ Sarah wieder los, entfernte
vorsichtig ein paar Dreckkrümel von ihrem Körper und half ihr, mit den
Kleiderfetzen das Nötigste zu bedecken. Schließlich hob er sie leicht an, damit
sie wieder in ihre Hose schlüpfen konnte. Dann schoben sich die beiden nach
hinten aus dem Gebüsch heraus. Auf dem Gehweg stand Frau Krien, die in dem
älteren Haus wohnte, an dessen Grundstück die Büsche grenzten. Sie war etwas
spießig und hörte nicht mehr besonders gut, war aber eine gute Seele. Nun
schlug sie sich erschrocken die Hand vor den Mund und starrte Rainer Pietsch
entgeistert an.
    »Gut, dass Sie kommen, Frau Krien«, sagte er und versuchte sich den
Schweiß mit dem Oberarm aus dem Gesicht zu wischen, ohne seine Tochter
loszulassen. »Könnten Sie bitte die Polizei rufen? Meine Tochter ist von einigen
Jugendlichen in dieses Gebäusch gezerrt worden und …« Er sah zu Sarah hin,
sie schüttelte den Kopf. »Sie wurde überfallen, Frau Krien, und wir brauchen
einen Arzt.«
    »Sofort«, sagte sie, eilte so schnell es eben ging zu ihrem Haus und
drehte sich auf dem Weg noch ein paar Mal kopfschüttelnd zu Rainer und Sarah
Pietsch um.
    Rico hatte die Szene noch einige Minuten im Auge behalten
und war dann, als die alte Nachbarin ins Haus lief, den anderen
hinterhergerannt. In ihrem Verschlag am Güterbahnhof befand sich nur Hacki, von
den anderen fehlte jede Spur.
    »Die sind nach Hause«, sagte Hacki, »haben die Hosen voll. Und?«
    »Eine Nachbarin hat gesehen, wie Pietsch seine Tochter aus dem
Gebüsch holte. Dann ist sie ins Haus – wahrscheinlich, um die Bullen
anzurufen.«
    »Meinst du, sie hat uns gesehen?«
    »Eher nicht, höchstens durchs Fenster – als wir Sarah getroffen
haben, war jedenfalls niemand auf der Straße. Und dann kam auch schon ihr
Vater.« Rico kickte wütend einen Stein von der Bordsteinkante. »Was machen wir
jetzt?«
    »Wieso, was sollen wir machen?«
    »Na, Sarah hat uns doch gesehen. Mich hat sie auf jeden Fall
erkannt.«
    »Ja, und? Dein Pech, oder? Hättest ihr halt nicht so lange
nachsteigen sollen – das heute hättest du schon lange haben können. War geil,
oder?«
    »Nein, war’s nicht«, brummte Rico und sah Hacki finster an.
    »Oje, das Bübchen hat Gewissensbisse … Mensch, Rico, bei der
hättest du eh nie landen können – das ist nicht unsere Kragenweite, weißt du?
Und wenn ihr Alter nicht dazwischengekommen wäre, hätte dir das schon noch gefallen,
glaub mir.«
    »Meinetwegen, aber sie hat uns gesehen.«
    »Pfeif drauf.«
    »Dich kann sie ganz sicher beschreiben«, sagte Rico und fuhr sich
mit zwei Fingern unter dem rechten Auge entlang.
    »Hm«, machte Hacki und sah plötzlich sehr nachdenklich aus. Dann
stand er auf und packte Rico an der Jacke.
    »Los, Alter, wir reden mit den anderen – sieht aus, als bräuchten
wir ein Alibi.«
    Sarah hatte sich neben die Büsche auf den Grünstreifen am
Gehweg gesetzt und eine Wolldecke umgeschlungen, die Frau Krien nach dem Anruf
bei der Polizei mit nach draußen gebracht hatte. Rainer Pietsch saß neben
seiner Tochter und versuchte, sich möglichst genau an alles zu erinnern, was
ihm seit seiner Rückkehr vom Joggen aufgefallen war.
    »Du hast sie gesehen, Papa, oder?« Sarah sah ihn ängstlich an, als
fürchte sie, man werde ihr gar nicht glauben, dass sie gerade überfallen worden
war.
    »Klar hab ich sie gesehen, aber persönlich gekannt hab ich keinen
von ihnen. Nur der eine hatte zwei Narben unter dem rechten Auge – und so wurde
auch einer der Typen beschrieben, die Michael verprügelt haben.« Er drückte ihr
die Hand. »Denkst du denn, ich würde dir nicht glauben?«
    Sarah zuckte mit den Schultern, dann weinte sie wieder.
    »Wer sollte dir denn nicht glauben? Du bist zerkratzt, trägst
zerrissene Kleider, ich hab dich in diesem Gebüsch gefunden – da kann

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