Kinder
Achtzigern. Nun waren sie gespannt, was der
Anlass für diesen Stammtisch war – um so mehr, als sie inzwischen für dieses
Treffen noch eine zweite Einladung von der Elternvertretung der neunten Klasse
bekommen hatten. Ein Doppelstammtisch war ungewöhnlich, auch wenn einige Eltern
Kinder in beiden Klassen hatten und sich teilweise seit der gemeinsamen
Grundschulzeit ihrer Jungs und Mädchen kannten.
Es dauerte noch eine Weile, bis der lange Tisch gefüllt und die
Runde leidlich vollständig war. Schließlich klopfte Karin Knaup-Clement mit
ihrem teuren Markenkuli mehrmals gegen ihr Wasserglas und spreizte sich für
ihre Eröffnungsrede. Rainer Pietsch suchte unter der Tischplatte nach der Hand
seiner Frau, drückte sie kurz und grinste ihr zu.
»Es scheint, dass wir nun auf niemanden mehr warten müssen«, begann
Karin Knaup-Clement mit Unternehmensberatermiene. »Dann will ich Ihnen« – sie
drehte sich geziert zu zwei Frauen hin, die sie etwas näher kannte – »und euch
schildern, warum wir uns heute hier treffen.«
Christine Werkmann kam zur Tür herein, sah sich kurz um und kam dann
an den Elternstammtisch.
»’n Abend«, murmelte sie und setzte sich auf einen der letzten
freien Stühle.
»Guten Abend«, brummte Karin Knaup-Clement und wartete kurz mit
strengem Blick, bis Christine Werkmann ihre Handtasche und ihre Jacke über die
Stuhllehne drapiert hatte. »Kann ich?«
Christine Werkmann nickte.
»Danke. Also: Wir haben ja auf den Elternabenden die beiden neuen
Lehrer schon kennengelernt, und für meinen Geschmack urteilen diese Moellers
reichlich von oben herab.«
Rainer Pietsch sah seine Frau an: Ob die Unternehmensberaterin
diesen ganzen Aufstand nur veranstaltete, um sich für die vergleichsweise
kleine Kränkung am Elternabend der 6d zu rächen?
»Frau Werkmann hat damals ja schon angesprochen, dass ihr Kevin in
der 6d gehänselt werde – was mir übrigens sehr leidtut. Sobald ich weiß, wer
dahintersteckt, helfe ich Ihnen gerne, das aus der Welt zu schaffen.«
Annette Pietsch konnte ihre verblüffte Miene kaum verbergen: Seit
wann interessierte es die schneidige Business-Lady, ob Kevins Mutter Probleme
hatte? Es war kein Geheimnis, dass Karin Knaup-Clement die alleinerziehende
Christine Werkmann für eine Verliererin hielt – und das schien auch Kevins
Mutter zu wissen, denn sie musterte die Rednerin ebenfalls mit skeptischem
Blick.
»Aber inzwischen habe ich allen Grund zur Annahme, dass Kevins
Erlebnisse kein Zufall sind – und dass sie mit den beiden neuen Lehrern zu tun
haben. Hendrik aus der 9c hat seiner Mutter etwas berichtet, das mich in diesem
Verdacht bestärkt. Frau Karrer, deren Sohn betroffen war, wollte heute Abend
nicht kommen – was ich durchaus verstehen kann. Aber wir sollten uns überlegen,
was wir unternehmen, denn was ihr Sohn Sören erlebt hat, kann jederzeit auch
ein anderes unserer Kinder treffen.« Sie sah ernst in die Runde und schaute dann
eine der anderen Mütter am Tisch direkt an: »Hanna möchtest du uns erzählen,
was du von Hendrik gehört hast?«
Hanna Probst nickte knapp und begann zu erzählen, was ihr älterer
Sohn daheim von dem Ereignis in der 9c erzählt hatte. Sie redete erst mit stockender
Stimme, dann immer flüssiger, erregter, aufgewühlter.
Die Wohnung war karg eingerichtet. An den Wänden hingen
keine Bilder, es gab nirgendwo Pflanzen. Im Wohnzimmer standen Bücherregale,
vollgestopft mit pädagogischer Fachliteratur, mehrere Bände mit dem Titel
»Platon. Sämtliche Werke«, Bücher von Aristoteles, Albertus Magnus und einige
zerlesene Bände von John Locke. Eine Vitrine aus hellem Holz war gefüllt mit
Gläsern und Kristallkaraffen, in einem Hängebord reihten sich einige CD s aneinander: klassische Musik, Bach, Beethoven,
Händel.
Von der um einen niedrigen Holztisch gruppierten kleinen Sitzgruppe
führte ein alt aussehender Teppich zum Flur. An der Tür zur Küche mit kleinem
Esstisch vorbei passierte man die beiden geschlossenen Türen zu Bad und Gäste- WC , die letzte Tür führte ins Schlafzimmer, die Tür
rechts daneben stand offen und gab den Blick frei auf ein modern eingerichtetes
Arbeitszimmer.
Franz Moeller saß vor einem Flachbildschirm und bearbeitete am PC dicht beschriebene Datenblätter, Rosemarie Moeller saß
hinter seinem Rücken an einem Schreibtisch, blätterte in großen Papierstapeln
und nannte ihm von Zeit zu Zeit Details, nach denen er sie fragte, ohne sich
umzudrehen.
Rainer Pietsch kam mit zwei Gläsern
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