Kindermund (German Edition)
schwer wie eine Eisentür. Ich muss geschrien haben. Meine Beine werden auseinandergedrückt. Seine Zunge bohrt sich zwischen meine Schenkel. Ich wehre mich mit all meiner Kraft, strample wie verrückt. Er lässt von mir ab: »Warum denn nicht, das ist doch süß! Komm, stell dich nicht so an!«
»Das nächste Mal!«, flehe ich. Mein Vater lässt nicht von mir ab, trägt mich nackt in ein Zimmer, legt mich in ein Bett, deckt mich zu. Mir ist nicht kalt, mir ist nicht heiß, ich fühle nichts. Aus der Ferne die immer gleiche Melodie. Ich summe mich selbst in den Schlaf.
Während der folgenden Tage in Berlin spielt er Katz und Maus mit mir. Ständig tanzt er um mich herum, nutzt jede Gelegenheit, mich zu streicheln, an sich zu drücken, zuküssen, anzufassen. Ich weiche ihm aus, wenn er im Vorbeigehen, wie zufällig, mit seiner Hand über meine Beine, meinen Po streift. Wann immer ich kann, gehe ich ihm aus dem Weg. Wenn ich ihn höre, drücke ich mich in eine Nische, verschwinde hinter einer Zimmertür, einer Kommode oder zwischen Büschen im Garten. Kommt er näher, mache ich schnell die Augen zu. Vielleicht sieht er mich dann auch nicht! Kann sein, dass es nützt, denn oft schleicht er wie ein Raubtier an mir vorbei, während ich zum lieben Gott bete.
Mein Vater spürt, dass ich ihn meide. Es macht ihn rasend, und er verfolgt mich umso hartnäckiger. Wenn er mich dann erwischt und niemand ihn zu stören droht, quält er mich besonders lang. Seine Frau ahnt nichts, sie ist völlig arglos.
Auf den Spaziergängen im Grunewald müssen Biggi und ich uns wie zwei Geliebte rechts und links eng an ihn drücken und werden abwechselnd von seinen feuchten Lippen geküsst. Wenn der Augenblick es zulässt, winde ich mich aus der Umklammerung und laufe voraus. Mein Vater beklagt sich lautstark: »Immer läuft sie weg!«
Die andere Seite von Berlin: Mein Vater kauft mir in edlen Geschäften die schönsten Dinge der Welt, einen kirschroten Redingote-Mantel, ein froschgrünes und ein rosafarbenes Kleid aus Seide, ein nachtblaues Samtkleid und so viele Schuhe, dass ich jeden Tag ein anderes Paar anziehen kann. Baskenmützen in allen Farben und vieles mehr. Ich bin stolz, so schöne Kleider habe ich noch nie besessen. Immer wieder zieht es mich in den Spiegelsaal. Ich tanze, bewundere mich von allen Seiten. Manchmal trifft mich die Gegenwart meines Vaters wie ein Blitz. Ich habe ihn nicht kommen hören. Er steht einfach hinter mir, sieht mich an, lächelt stumm und abwesend.
Nachts werde ich oft von Geschrei aus dem Schlaf gerissen. Mein Vater brüllt, meine Stiefmutter jammert, weint. Ich kann nur Wortfetzen hören, das Geräusch von Körpern, die auf den Boden schlagen, ersticktes Wimmern. Dannsteige ich aus dem Bett, taste mich durch schwarze Watte. Ich stoße gegen eine Kommode, kauere mich dahinter und warte. Lieber Gott, bitte lass es vorübergehen! Nicht immer schaffe ich es, wach zu bleiben, schlafe im Sitzen ein.
Am schönsten ist Berlin, wenn wir zum Reitstall fahren. Dort stehen die Pferde: Kosak, der Hengst, jung, wild, ungezähmt. Nur mein Vater kann ihn reiten. Prinz, ein Wallach, gehört Biggi. Wir verbringen dort täglich ein paar Stunden, und ich bin vor meinem Vater sicher. Mir sind Pferde unheimlich, aber mein Vater hebt mich jedes Mal auf den Rücken von Prinz, und ich muss mich von ihm tragen lassen. Die Angst lässt nach, aber ob mir Reiten Spaß macht, weiß ich nicht. Mein Vater verlangt, dass ich in München in der Universitätsreitschule am Englischen Garten Unterricht nehme. Er werde das selbstverständlich bezahlen! Dafür lässt er mir noch in Berlin Jackett und Hose nähen und wunderschöne Stiefel nach Maß anfertigen. Das Leder ist so weich wie das von Handschuhen. Wenn die Sachen fertig sind, werden sie mir nach München geschickt. Aber den Samthelm werde ich jetzt schon mitnehmen.
Im Schlaf spüre ich etwas Nasses im Ohr: Mein Vater raunt: »Komm, mein Engelchen, wir müssen zu den Pferden!« Ich schlage um mich und sitze auf der Stelle aufrecht im Bett. Draußen ist es noch nicht hell, aber ich gehorche und ziehe mich an. Biggi und meine Schwester schlafen noch, er möchte mit mir allein fahren. Mir ist unwohl zumute, als ich mich neben ihn in den Sportwagen setze. Er gibt Gas, lässt seine Hand auf meinem Schenkel liegen: »Mein geliebtes Püppchen, mein Engelchen …« Die Fahrt zum Reitstall dauert nicht lange, aber mein Vater rast derart durch die Kurven, dass mir kotzübel ist, als wir
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