Kindermund (German Edition)
halten, er würde ihr ständig Klamotten kaufen, sie bekomme wohl den Rachen nicht voll!
Er hat recht. Wenn man einen der Wandschränke öffnet, blitzen dort Hunderte von Schuhen in allen Farben und Formen aus Nappa-und Schlangenleder.
Sie zerrte seine neuen Polohemden aus der Tüte, eines nach dem anderen, riss sie auseinander, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Die Knöpfe spritzten durch die Luft. Wie eine Raubkatze sprang er auf sie zu, funkelte sie an, hatte Schaum vor dem Mund. Sie streckte ihm frech ihr Kinn entgegen. Ich flüchtete die Treppen hoch ins Bad, begleitet von hysterischem Geschrei und Gebrüll. Ich weiß nicht, was da unten weiter passierte, ich will es nicht wissen, was geht es mich an. Sie sollen mich nur in Ruhe lassen!
Später wird mein Vater wieder so tun, als sei nichts gewesen. Und ich muss es auch. Er wird zu mir kommen, sich aufs Bett setzen. Seine Hand wird unter die Decke gleiten, zu meinen Brüsten, zwischen meinen Beinen suchen, grapschen, fingern, bohren … Und er wird dieses schwammige dämliche Gesicht ziehen, das ich so hasse. Ich werde mich ekeln vor seiner Stimme, die wimmert wie die eines Klageweibs, vor seinen Händen, die mir weh tun. Oder ich muss mich hinstellen, nackt, und er wird mich anglotzen, so lange, bis ich es nicht mehr aushalte, bis die Schweißtropfen zwischen meinen Brüsten brennen, sich den Weg nach unten bahnen, sehr langsam, als wollten sie mich foltern. Aber ich muss stehen bleiben, bis er sich sattgeglotzt hat. Dann wirft er mich aufs Bett, und ich muss sagen, dass ich es schön finde, dass ich es genieße. Ich muss laut sagen, dass es mir gefällt, mich geil macht, wie er mich anfasst. Ich muss schwören, dass ich mit keiner Menschenseele darüber sprechen werde, niemals! Ich muss schwören, dass ich niemals einen anderenMann anschauen werde. Dass mir nie in meinem Leben ein anderer Mann gefallen wird. »Kein Kerl auf dieser Welt darf das mit dir machen, hörst du? Schwöre es! Du schwörst es mir!« Ich werde es schwören.
Ich darf nicht wieder einschlafen, auf keinen Fall! Dann weiß ich nicht, was er mit mir macht. Gedanken wie Sturmwolken jagen durch meinen Kopf, ich kann sie nicht festhalten.
Ich werde wach, weil meine Kehle brennt. Ich habe furchtbaren Durst. Es ist stockfinster. Millionen von Pünktchen tanzen vor meinen Augen. Ich will ins Bad, um aus dem Wasserhahn zu trinken, da überfällt mich die Atemnot. Ich habe das Gefühl zu ersticken, stolpere zu den schweren Vorhängen, reiße sie auseinander, sauge gierig die Nachtluft durchs offene Fenster. Aber sie bleibt im Hals stecken, gelangt nicht bis in die Lunge. Ich kann nicht tief atmen. Je hektischer ich versuche, Luft zu bekommen, desto enger schnürt sich meine Kehle zusammen. Panik breitet sich in mir aus, mein Körper wird taub. Plötzlich die aufgeregt flüsternde Stimme meines Vaters hinter mir: »Einbrecher! Ich weiß nicht, ob sie schon im Haus sind! Komm mit!« Selbst wenn er flüstert, klingt er aggressiv. Er packt mich am Arm, reißt mich herum. Sein Gesicht verschwimmt, ich sehe schemenhaft das Weiß seiner Augen. In der Dunkelheit blitzt etwas hell auf in seinen Händen. »Komm endlich!« Etwas Hartes, Spitzes bohrt sich in meinen Rücken, schiebt mich aus der Tür ins Treppenhaus. Jetzt kann ich erkennen, dass mein Vater einen weißen Bademantel übergeworfen hat und mit beiden Händen ein Gewehr umklammert hält. Seine Freundin trägt den gleichen Bademantel, sie steht wie sein Schatten schräg hinter ihm. »Beeilt euch!«, zischt er und fuchtelt mit dem Gewehr gefährlich nah an meinem Gesicht. »Sie müssen unten sein!« Er schubst mich mit dem Lauf der Waffe zur Treppe. Ich stolpere die ersten Stufen hinunter.Dann scheucht er seine Freundin auf dieselbe Weise hinter mir her. Wenn wir an einem der hohen Fenster vorbeikommen, müssen wir uns ducken, damit uns von draußen niemand entdeckt. Im ganzen Haus brennt kein Licht. Nur der Mond wirft breite Lichtstreifen an die kahlen Wände. Ich sehe unsere Schatten als Scherenschnitt: Drei Gestalten schleichen gebückt hintereinander auf Zehenspitzen, den Kopf stur geradeaus. Wie im Zeichentrickfilm. An der Spitze ich, dann die Freundin und als Schlusslicht mein Vater, den Gewehrlauf auf uns gerichtet. So treibt er uns vor sich her treppab ins Erdgeschoss. Mein Vater befiehlt mir, in die Küche zu gehen und hinter der Tür nachzuschauen. Ich zögere. »Mach schon!«, schnauzt er mich an. Die Küche liegt ruhig da. Die
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