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Kindermund (German Edition)

Kindermund (German Edition)

Titel: Kindermund (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pola Kinski
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Freundin und mich am Arm und schleift uns hinaus, während er spuckt und flucht und den Kellner immer noch aufs ordinärste beschimpft. Eine links, eine rechts von ihm, stolpern wir über die Piazza del Popolo durch die Gassen der Altstadt, während er pöbelt und immer weiter flucht. Ich zittere, ich schäme mich vor ganz Rom. Ich will diesen Kerl endlich loswerden, der mich am Laufen, der mich am Leben hindert! Aber wie? Ihm bin ich wichtig, meiner Mutter nicht.
    Wir betreten Magli, den Luxusladen für Schuhe und Taschen. Die Zornesader auf der Stirn meines Vaters ist etwasabgeschwollen, er mault nur noch leise vor sich hin. Wieder stürzen gebleckte Gebisse, verzerrte Mäuler auf ihn zu. Er stimmt ein ihn diesen Reigen der Verlogenheit und Berechnung. Merkt er ihre Absicht nicht, oder ist es ihm egal?
    Nach diesem Vorspiel geleitet man mich zu einem Samtsessel. Zwei dauerlächelnde Angestellte streifen mir meine Schuhe ab und stellen meine nackten Füße auf rosafarbenes Papier. Man fasst mich zart an den Händen, bittet mich aufzustehen. Die beiden kriechen um mich herum, mit der Nase ganz nah am Boden, und ummalen meine Füße auf dem Papier. Ob sie kurzsichtig sind? Sie erheben sich, berühren wieder meine Hände, helfen mir, mich zu setzen.
    Mein Vater bestellt Mokassins in allen Farben, aus Nappaleder, jedes Paar doppelt. Und Stiefeletten in den gleichen Farben. Ich zähle in Gedanken mit und komme auf etwa dreißig Paar.
    Endlich ist das Schuhproblem gelöst! Befriedigt führt er uns zum Auto.

M ein Vater fällt in München ein, mit einem Heer von Koffern, für die er mehrere Träger benötigt, und seinem Schatten, seiner Freundin. Er ist gekommen, um ein Haus oder eine große Wohnung für Biggi, Nastassja und mich zu mieten. Mein Onkel geht in die USA, so habe ich keine Bleibe mehr, und Biggi will mit ihrer Tochter von Berlin nach München ziehen. Meinem Vater gefällt die Idee: alle drei unter einem Dach. Dann hat er uns besser unter Kontrolle.
    Natürlich steigt er in einem Luxushotel ab. Sofort nach seiner Ankunft lässt er mich per Taxi ankarren. Die übliche Begrüßungszeremonie. Die Freundin fällt eigentlich nicht weiter auf. Sie steht gepflegt und schön angezogen schräg hinter ihm und sagt kein Wort. Immer noch trägt sie die Nase sehr hoch, und ihr Mund wirkt ständig beleidigt. Ich glaube, sie möchte vermitteln, dass sie etwas Besseres ist und sich mit dem niederen Volk nicht abgibt. Die vielen verschiedenen Koffer und Taschen, die von den Trägern irgendwo abgestellt wurden, machen aus den Hotelzimmern ein Möbellager. Sie stehen einfach da, man muss um sie herumlaufen, wenn man sich in den Räumen bewegen möchte. Mein Vater schiebt mit dem Fuß eines dieser Koffermonster in meine Richtung: »Für dich!« Ich ahne, was drin ist, werfe mich davor, reiße den Deckel hoch. Eine Welle von Schuhen schwappt mir entgegen: Mokassins und Stiefeletten in allen Farben und jedes Paar doppelt! Ich stecke meine Nase in den Berg. Wie sie duften! »Jetzt hast du endlich mal Schuhe, mein Engel, dreißig Paar!«
    Mein Vater drängt zum Aufbruch in die Stadt. Ich frage ihn, ob ich meine Freundin Patrizia später ins Restaurant zum Essen einladen darf. »Natürlich, ruf deine Freundin an!« In diesem Moment bin ich stolz auf meinen Vater, ich will ihn Patrizia unbedingt vorführen.
    Wir treffen uns im Humplmayr. Patrizia ist zur Hälfte Italienerin, ihre schwarzen Haare reichen bis zum Po. Heute trägt sie den kürzesten Minirock, den sie im Schrank hat. Sie setzt sich neben mich, und wir fangen sofort an zu tuscheln. Das Essen, der ganze Abend verlaufen unbeschwert, fröhlich. Mein Vater ist guter Laune, bringt uns alle zum Lachen. Kein gefährliches Blitzen in den Augen, kein Zucken der Nasenflügel, keine bebenden Lippen, kein böses Wort. Mein Vater widmet sich Patrizia, er plaudert mit ihr. Ich bin wachsam. Er setzt sich neben sie, mir ist das nicht recht. Er rückt näher an sie heran, er berührt sie, sein Blick ruht auf ihr, er mustert sie auf die Art, die ich so sehr hasse, während sie über seine Geschichten kichert. Er lacht übertrieben laut und unnatürlich. Er lädt sie ein, mit mir zu ihm ins Hotel zu kommen. Sie merkt offenbar nicht, was er vorhat. Mir wird kotzübel. Ich springe auf, packe meine Freundin an der Hand, ziehe sie wortlos hinter mir her aufs Klo. »Bitte, darf ich heute bei euch schlafen, Patrizia?«
    »Ich glaube schon. Was ist denn los?«, sie schaut mich mit Kinderaugen

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