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Kindermund (German Edition)

Kindermund (German Edition)

Titel: Kindermund (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pola Kinski
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polierten Töpfe glänzen im Mondlicht. Der Tisch ist gedeckt. Alles hat seine Ordnung, wartet perfekt geputzt auf seinen Einsatz am nächsten Tag. Ich halte die Luft an, strecke meinen Körper in Richtung Tür, bis es so aussieht, als würde ich dahinter nachsehen. Dann ziehe ich den Kopf schnell zurück. »Nichts!«, flüstere ich. Er treibt uns weiter vor sich her, als lebendiger Schutzschild, falls Einbrecher aus einer Ecke springen. Er sagt, er würde uns Rückendeckung geben. Jeder Raum, jeder Winkel wird von mir untersucht. Mein Vater hält sich weit im Hintergrund.
    Einmal schaue ich aus einem Fenster. Irgendetwas huscht über den Kies. Wahrscheinlich ein Tier. Qualm löst sich über der Mauer auf. Da raucht jemand! Ich bleibe stehen, starre nach draußen. »Das ist Nebel!«, zischt mein Vater im Flüsterton.
    Die große Tür zum Kirchenschiff steht offen. Die Halle sieht bedrohlich aus mit ihren vielen Schatten und Winkeln. Mein Vater tippt mir mit dem Gewehrlauf zwischen die Schulterblätter. »Geh hinein!« Wie hinter einem Wasserfall drücken wir uns die Wand entlang unter dem kalten Licht, das auf Möbel und Fliesen fällt, nach vorn zum Kamin. Wir bewegen uns lautlos. Fast alle Bereiche des Raumes liegenim Dunkeln. Ich stoße mit dem Fuß gegen einen eisernen Kerzenleuchter. Er kratzt über den Steinboden. »Pass doch auf! Du Idiot!«, faucht mein Vater. Mein Fuß tut höllisch weh. Ich schlucke Schmerz und Tränen hinunter. »Schau im Kamin nach!«, befiehlt er mir. Ein schwarzes Maul gähnt mich an, als wollte es mich verschlingen. Ich trete hinein, taste mit den Händen um mich. Vor lauter Angst vergesse ich zu atmen. Mir wird schwindlig, ich atme weiter. Es riecht stickig, nach Weihrauch und verbranntem Holz. Die Stille hier drin pumpt wie mein Herz. Nach ein paar kleinen Schritten ins Nichts überfällt mich Panik. Ich schreie laut auf und renne aus dem Kamin. Heulend falle ich auf die Knie. »Was ist los!«, brüllt mich mein Vater an.
    »Da ist niemand! Ich kann nicht mehr! Ich friere!«, schluchze ich.
    »Wir gehen jetzt alle sofort schlafen! Morgen müssen wir früh los ins Schuhgeschäft!«, befiehlt mein Vater. »Es ist wohl doch kein Einbrecher im Haus. Aber wir sind ihm mutig entgegengetreten!«
    »Ich lass dir heute Schuhe anfertigen, nach Maß, in allen Farben! Ich habe die Schnauze voll, dass du nie Schuhe hast! Eine Frau braucht viele Schuhe! Schuhe sind wichtig! Komm, beeil dich! Wir fahren gleich los!« Es ist früh am Morgen, und er steht neben meinem Bett. Warum ist der denn schon wieder auf? Ich kann mich nicht bewegen. Die letzte Nacht war ein Albtraum. Mir fällt wieder ein, was für ein Feigling mein Vater ist. Er, der sich vor nichts und niemandem fürchtet, hat mich und seine Freundin als Kanonenfutter vorausgeschickt. Jetzt knallt er eine Tasse Kaffee auf den Nachttisch, herrscht mich an, dass ich endlich aufstehen soll. Ich will nicht. Aber ich weiß, dass ich muss.
    Wieder quetschen wir uns zu dritt in die Sardinenbüchse und rasen los. Ich hasse es, an die beiden gedrückt zu sein, als wären wir ein Dreierliebesgespann. Die Neue kenne ichkaum, außerdem lässt sie mich deutlich spüren, dass sie mich nicht leiden kann. Ich sie übrigens auch nicht.
    Biggi mochte ich viel lieber. Sie war manchmal gemein zu mir, wahrscheinlich, weil ich das Kind einer anderen Frau bin. Aber sie konnte warm und herzlich sein, und wir beide haben viel gelacht und uns Geheimnisse erzählt.
    Leider sind die Geschäfte noch geschlossen. So müssen wir uns die Zeit in einer Bar mit Espresso und Tramezzini vertreiben. Ich habe das Gefühl in einem Bienenschwarm zu sitzen: Ein Summen und Brummen ist um mich. Ich liebe diese italienische Lebenslust! Ich möchte hierbleiben und später bei einer lieben dicken Mama Nudeln essen, bis ich platze.
    Ein Kellner, geschniegelt und blasiert, schiebt sich in unsere Richtung. Ich spüre körperlich, wie sich neben mir die Spannung aufbaut, und höre auf zu atmen. Als der Kellner beim Bestellen arrogant aus dem Fenster blickt, wage ich vorsichtig einen Blick zu meinem Vater. Seine Augen treten hervor, die Zornesader quillt, die Nasenflügel und Lippen zucken – noch ein Moment – jetzt! Er springt auf, der Tisch fällt um, wie eine Raubkatze macht er einen Satz auf den Kellner zu: »Vaffanculo! Figlio di puttana!« Der weicht zurück, klopft sich mit den Fingerspitzen den Staub von der Weste, als würde er ein Insekt abstreifen. Mein Vater packt seine

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